Sonntag, September 18, 2005

Un voyage mouvementé de Dakar vers Kolda

Der laute Klang eines Lautsprechers weckt mich. Ich halte es für den über Megafon verbreiteten Gesang eines Muezzins, zumal sich die kurze Strophe endlos zu wiederholen scheint. Die Quelle kann ich nicht zuordnen, sie scheint überall und nirgends zu sein. An Schlafen ist nicht mehr zu denken. Ich habe keine Ahnung, dass es erst gegen 8 Uhr ist, weil ich die einzige Uhr in der Umgebung, mein Handy, nicht aufstöbern kann. Acht Stunden ist eine erstaunlich kurze Dauer Schlaf in Anbetracht des Reisemarathons, den wir in den letzten drei Tagen hinter uns gelegt haben, Lisa, Pape und ich. Ich gehe davon aus, dass es gegen 11 Uhr ist. Lisa attestiert mir einige Augenränder, wie gestern schon. Das Treiben auf den Straßen ist an diesem Sonntag bereits sehr rege. Ich schnappe mir mein Duschzeug und gehe ins Bad, dessen aufdringlicher Geruch von Fäulnis sich über Nacht kein bisschen verflüchtigt hat. Ein seltsamer Zustand für das Bad eines Tostan-Büros. Bisher waren mir die Tostan-Unterkünfte immer positiv aufgefallen, in Dakar, Thiès und Tamba, auch wenn sie keine Vier-Sterne-Hotels sind. Hier in Kolda ist es nun weniger erfreulich. Ich drehe am Wasserhahn der Dusche und werde enttäuscht, offenbar ist die Versorgung unterbrochen. Hätte ich mir eigentlich denken können, nach dem Wolkenbruch gestern Abend, den wir auf dem Balkon des Büros fasziniert miterlebt hatten. Kolda scheint da nicht anders zu sein als Dakar. Immerhin kommt etwas Wasser aus dem Hahn am Boden, so kann ich mich ein wenig vom erkalteten Nachtschweiß befreien.

Da ich weder Frühstück noch Trinkwasser vorrätig habe, entschließe ich mich, eine Runde über den Markt zu drehen. Lisa sagt mir, eine Fruchtart anders als Bananen mitzubringen. Von denen hatten wir die letzten Tage reichlich. Doch leider habe ich kein Glück, ich merke schnell, Kolda ist doch nicht Dakar. Bananen, Erdnüsse, Kokosnüsse, Feigen, Maniok, Yam, Gurken und eine Reihe mir unbekannter Gemüsesorten sind das einzige, was mir auf der Straße begegnet. In Dakar sind Äpfel oder Papayas leicht zu finden. Das gleiche gilt für Säfte, die zwar teuer, aber immerhin verfügbar sind. Anders hier. Ich entschließe mich schließlich wieder für Bananen (250 CFA für ca. 500g für, etwa 0,40 Euro) und eine Tüte Feigen, die ich allerdings schnell entsorge, als mir beim Genuss der vierten Feige ein Käfer entgegen krabbelt.

Als ich so am Markt entlang schlendere, kann ich die vielen Blicke auf mir spüren. Pape oder Mariama (die Sekretären im Dakar-Büro) würden sagen, dies kommt, neben der Hautfarbe, durch meine Frisur, die angeblich jede senegalesische Frau anspricht. Ich hatte mich eigentlich nur auf ihren Vorschlag eingelassen, mir einen richtigen senegalesischen Hairstyle zu verpassen. Aber wie dem auch sei. Wenigstens kann ich hier von schlendern reden, denn anders als in Dakar ist es tatsächlich möglich, sich ruhig die verschiedenen Stände anzusehen. In Dakar wird man auf den Märkten von Händlern förmlich überrannt. Die Atmosphäre ist sehr viel entspannter und ich genieße es.

Am Eingang des Büros begegne ich dem lokalen Tostan-Koordinator. Er begrüßt mich lachend mit „Ca va bien?“, „Oui, ça va…“ Er ist gerade auf dem Weg in das „Tostan-Dorf“ (immer in Gänsefüßchen, natürlich sind es eigenständige Dörfer, die der Einfachheit wegen diese Bezeichnung von uns bekommen), das wir drei für vier Tage besuchen werden. Morgen soll es losgehen. Wir werden heute Abend noch darüber reden, um auf das Dorf-Leben und unsere Arbeit, ein Portrait schreiben, gut, oder wenigstens ausreichend, vorbereitet zu sein. Wir waren heilfroh, als er uns gestern bei unserer Ankunft sagte, wir sollten uns ruhig noch einen Tag entspannen, bevor es weitergeht.

Das hatten wir uns sofort zu Herzen genommen. Zweimal waren wir senegalesisch essen, Mittag und Abend, in einem Restaurant, das aus der Wohnung der Familie bestand. Die Zwischenzeit vertrieben wir uns im Cybercafé und beim Bildergucken und Teetrinken. Oder sollte ich lieber sagen: Teekochen. Wenn man hier zum Ataya eingeladen wird, besteht die meiste Zeit aus warten. Warten, dass wieder eine Runde kleinster Schnapsgläser süßer grüner Tee fertig wird. Natürlich sollten wir gestern nicht nur warten. Stattdessen führte uns Pape in die Kunst des Atayakochens ein. Er demonstrierte die erste Runde, dann folgten ich und schließlich Lisa. Besonders das Mischen erfordert etwas Übung, und es war vermutlich Pape, der unsere mangelnde Übung ausbadete, indem er einmal auf seinen Anteil verzichtete. Wir hatten zu viel verschüttet.

Am Abend laufen wir erneut dem Koordinator über den Weg, er ist in Begleitung eines Tostan-Mitarbeiters auf der Durchreise nach Guinea. Mir gefällt sein Boubou. Wie wir es von Pape gelernt haben, spreche ich höflich ein Kompliment aus. Doch er blickt mich fragend an. Ich wiederhole „Mangi ci Mbouboubi!“, doch ernte nur Unverständnis. Jetzt bin ich selbst baff. Es ist der Koordinator, der die Situation von uns allen am schnellsten erfasst, auflacht, und seinem Kollegen auf die Schulter klopfend mein Kompliment auf Französisch übersetzt. Jetzt lacht dieser selbst. Was war passiert? In der Eile war mir entfallen, dass uns der Kollege von seiner Herkunft, Mali, einem Nachbarstaat des Senegal, erzählt hatte. In Mali gibt es nur eine winzige Wolof-Gemeinde, verbreitet wie im Senegal ist die Sprache dort aber nicht. Obwohl er schon eine Weile im Senegal arbeitet und studiert, helfen mir meine winzigen Wolof-Kenntnisse bei ihm kein Stück weiter. Geschmunzelt haben wir trotzdem alle und Papes Augen funkelten…

Mein Durst ist immer recht drangvoll, hier im Senegal erreicht dieses Gefühl jedoch, wenig überraschend, neue Höhen. Die erste Flasche habe ich jetzt gegen Mittag schon geleert. Ich hatte sie gerade heute Morgen gekauft, 500 CFA für 1,5 Liter. Wir haben bei diesen Preisen nicht schlecht gestaunt. Ein Fünf-Liter-Kanister kostet in Kolda 1000 CFA, etwa 1,50 Euro, und damit 400 CFA mehr als in „unserer“ Superette in Dakar. Die Händler erklären das mit den hohen Transportkosten aus Dakar, dem teuren Benzin, die sie tragen müssen. Pape hatte extra kritisch nachgefragt, um uns davor zu schützen, Opfer sprunghafter Inflation zu werden, oft beobachtet beim Erscheinen von Europäern oder Amerikanern.

Dieses Argument leuchtete uns ein. Denn da hatten wir ja selbst eine Erfahrung gemacht… Unser Reise von Dakar nach Kolda. Ich will sie kurz umreißen, sie ist einige Bemerkungen wert.

Der Plan

Ursprünglich sollten wir am Freitag früh aufbrechen, um nach etwa 14 Stunden Fahrt in einem sept-places in Kolda einzutreffen.

„Flucht“ aus Dakar

Daraus wurde jedoch nichts. Wir mussten überraschend schon am Donnerstagabend aufbrechen. Ich habe dazu einige Bemerkungen gemacht. Hätte ich nicht noch am Morgen meine ganze Wäsche eingeweicht, die ich dann über den Tag beim Ministerium und Alitalia vergaß, wäre der Stress wahrscheinlich nur halb so groß gewesen. Meine Hochgeschwindigkeitstrockenversuche mit dem Bügeleisen schlugen allesamt fehl. Der Chauffeur hupte vor unserem Apartment. Ich saß in der letzten Ecke des Jeeps. Wegen einer Überschwemmung auf der einzigen Straße von Dakar nach Thiès, wo wir übernachten sollten, gibt es Stau. Die Straße ist gesäumt mit Händlern wie üblich. Als wir die Stelle der Überschwemmung passiert haben, übrigens in einem Rechts-Überholmanöver an der Polizei vorbei, die eine satte Ladung Wasser in ihren halb ertrinkenden Kleinwagen serviert bekommt, ist der restliche Weg ereignislos. Ich bestaune den Sonnenuntergang und die überall präsente Maggi- und Nescaféwerbung. Ich zähle mehr Total- und Shell-Tankstellen, als ich Finger an einer Hand habe. Unser Empfang ist schlicht, Lisa und ich machen einen Spaziergang durch die klare Nacht, atmen die frische Luft ein, und besorgen uns Gemüsekonserven für das Abendessen. Ich bin wegen der anstehenden langen Fahrt in einem mir unbekannten Transportmittel aufgeregt.

Thiès nach Kolda über Tamba

Ich will gleich vorwegnehmen, dass aus Kolda an diesem Freitag nichts mehr wurde. Wir wurden zu einer Zwischenstation im Tostan-Büro Tamba gezwungen. Als wir an diesem Morgen gegen 11 Uhr am Reisebahnhof in Thiès ankommen, ist das sept-places nach Kolda bereits abgefahren. Dabei hatten sich Lisa und ich beeilt! Um 8.30 Uhr sind wir im Tostan-Büro Thiès, dort wartet bereits Pape, seit 7 Uhr, wie er sagt. Er hatte die Nacht mit seiner Familie auf einem muslimischen Fest durchgemacht. Ich bewundere seine Geduld. Wir benötigen nur unsere Reisekostenerstattung, doch aus unnachvollziehbaren Gründen warten wir darauf über eineinhalb Stunden. Üben uns in afrikanischer Gelassenheit, Lisa verschweigt ihr Unverständnis jedoch nicht. Ich bin ein bisschen gleichgültig, Kolda läuft nicht weg, und ich spüre die Nacht im warmen Zimmer und das Reisefieber in den Knochen.

Vor der Abfahrt benötigen wir Frühstück. Wir werden unplanmäßig vom gleichen Taxi zur Tankstelle und zurück zum Bahnhof gefahren, weil der Kofferraum mit unserem Gepäck drin klemmt, als wir auspacken wollen. Am Fahrtpreis ändert das jedoch nichts. Kleine Probleme bei der Erbringung der Serviceleistung sind hier kein Grund für Kostenminderungen, wie wir später am Tag noch eindringlicher erleben sollen. Der Bahnhof ist eher eine Mischung aus Markt und Bahnhof. Überall Händler, überall Busse und sept-places. Sobald man eintrifft, wird man von Fahrern überrannt, die ihr Fahrtziel anpreisen. Da die letzte Fahrt nach Kolda bereits aufgebrochen ist, müssen wir über Kaolack fahren. Pape wird in eine heftige Diskussion verwickelt, als er den Fahrtpreis verhandelt. Der Fahrer verlangt eine horrende Summe für unser Gepäck und verschweigt nicht, dass dies der Aufschlag für Europäer ist. Pape tut was er kann. Wir zahlen für die gesamte Fahrt bis Kolda, in drei Etappen, ca. 2000 CFA mehr als üblich, 13000 (knapp 20 Euro). Pape weiß sich zu behaupten, das ist sicher, aber die Fahrer wittern ebenso ihr Geschäft. Ich will nicht wissen, was Lisa und ich allein bezahlt hätten.

Als die Kiste voll ist, fahren wir ab, warten müssen wir nicht lange. Ein sept-places ist kein Kleinbus, wie ich erwartet hatte, sondern eher ein großer Kombi mit Sitzbank im Kofferraum. Ein amerikanischer Schlitten. Die Straße bis Koalack ist breit und eben. Dieser Streckenabschnitt ist ereignislos.

Abschnitt Kaolack – Tamba

Hinter Koalack ändert sich das Straßenbild radikal. Nachdem Pape dem Fahrer fast wieder an die Gurgel musste, um einen vernünftigen Preis auszuhandeln, lebt dieser sich auf der Straße voll aus. Die Schlaglöcher nehmen die Dimension von Einschlaglöchern an. Wir sitzen in der letzten Reihe, in der die Decke niedrig, die Sitzbank eingeengt ist. Ich verstehe bis jetzt nicht, warum uns die Achsen nicht gebrochen sind. Natürlich gab der Fahrer sein bestes. Die Straßen sind hier deshalb so breit, damit Fahrzeuge Schlangenlinien um die Kuhlen fahren können. Manchmal ist die Straße jedoch die Kuhle und dann setzt es Schläge. Der Gegenverkehr ist gering. Wir überholen zahlreiche Laster, manchmal links, manchmal rechts, je nach Schlaglochlage. Einige Male müssen wir abbremsen, weil Kühe die Straße passieren. Dörfer, die es zahlreich gibt, sind nicht unbedingt ein Grund, abzubremsen. Wir wenden Kollisionen mit einigen Radfahrern, die die Straße bei unserem Auftauchen unverschämterweise nicht sofort räumen, nur knapp ab. Zum Glück machen wir einige Pausen. Kommen wir in einem Dorf zum stehen, tauchen sofort ein Schwarm Kinder oder Frauen auf und preisen Bananen, Erdnüsse und kalte Getränke, in Tüten abgefüllt, an. Wir müssen dafür noch nicht einmal den Wagen verlassen.

Dann blasen wir weiter. Wie schnell, kann ich nur schätzen, ich habe hier noch nicht ein öffentliches Transportmittel, Taxi, sept-places, gesehen, dessen Geschwindigkeitsanzeige funktioniert hätte. Bei guter Fahrt waren es wohl so 90 km/h. Bei dieser Geschwindigkeit bekommt man bereits das Gefühl, zu fliegen, wenn man dennoch um Löcher wie bei einer Testfahrt herumkurvt oder durch sie hindurchknallt. Als es dunkel wird, sind wir immer noch rund drei Stunden von Kolda entfernt.

Und da gibt plötzlich unser Licht den Geist auf. Der Mond scheint hell, eine schöne klare Nacht, doch ohne Licht ist es zu gefährlich zum Weiterfahren. Wir entschließen uns, in Tamba bei Tostan die Nacht zu verbringen. Die übrigen Insassen steigen in ein car rapide, einen öffentlichen Bus, um, doch das fährt nicht bis Kolda durch. So fahren wir etwa zwei Stunden lang im Kreis, erreichen Tamba um 21 Uhr. Den Fahrtpreis bekommen wir weder erstattet noch vermindert. Wir bezahlen also bis Kolda und sind nur in Tamba. Es ist früh genug, um noch gemütlich essen zu gehen. Wir haben gegrilltes Rind mit Zwiebeln, Dibi, das wir mit unserer rechten Hand essen. (Zur Erinnerung, die linke Hand ist in diesem Kulturkreis für ein anderes Geschäft reserviert.)

Ich verschwende keine Zeit mit Spekulationen, was Lisa und ich gemacht hätten, wären wir allein in diesem sept-places stecken geblieben, ohne die Begleitung von Pape, der von dem Büro in Tamba weiß; stehen geblieben mitten im Busch, wo das Handy keinen Empfang hat, um Dakar anzurufen, und ich denke auch nicht darüber nach, wie die Fahrt weiter verlaufen wäre, hätte es gar geregnet wie gestern Abend, als Wolkenbruch, oder wenn auch nur der Mond weniger Licht gespendet hätte. Hätten wir die Nacht im Auto verbracht? Wer weiß das schon…

Am nächsten Tag setzen wir die Fahrt fort, noch mal knapp 4,5 Stunden. Ich bin erschöpft. Wenn die Stimmung am Vortag irgendwann ziemlich heiter war, ist sie an diesem Tag etwas gedrückter. Die Löcher und die Enge nerven mich. Konnte ich am Freitag voll und ganz in die Welt des „Chronisten der Winde“ (Henning Mankell) eintauchen, starre ich heute lieber aus dem Fenster. Aber es dauert zum Glück nicht sehr lang.

Wir erreichen Kolda gegen 14.30 Uhr. Treffen den Koordinator und beginnen zu relaxen bei senegalesischem Essen und Ataya. Irgendwann werde ich von einem Klang geweckt, den ich anfangs für einen Muezzin halte. Es ist Sonntagmorgen, in Deutschland finden die Wahlen zum Bundestag statt. Meine Stimme habe ich vor langer Zeit im Potsdamer Briefwahlbüro, es scheint, in einer anderen Welt, abgegeben. Ich habe, erstmals seit langem, das Bedürfnis nach Ruhe und Reflektion…