Besuch eines Dorfs: Jenseits von Handy und French Fries
Inzwischen sind Lisa und ich wieder auf dem Weg der Besserung. Ich bin fast vollständig wieder bei Kräften, nur mein Magen macht mir noch ein wenig zu schaffen. Lisa ist noch nicht ganz so weit, aber die Fortschritte sind sichtbar. Pape ist gestern zurück nach Dakar gefahren, er hatte sich eine Knieverletzung zugezogen und litt unter Übelkeit, Schwindel. Seit unserer Rückkehr aus dem „Tostan-Dorf“ Maayel Roundé am Freitagnachmittag bestand unser einziger Auftrag darin, uns zu erholen. Solange, bis wir fit für die Weiterfahrt nach Bignona sind. Ich hoffe, morgen ist es endlich soweit. Ich habe genug gesehen von Kolda.
Der Besuch eines traditionellen senegalesischen Dorfs
Um dies gleich vorweg zu nehmen, hat uns unser Aufenthalt einigen Schweiß gekostet. Ich lag zwei Tage mit Fieber und Durchfall im Bett und konnte so nur begrenzt am Dorfleben teilnehmen. Ob ich mir eine Lebensmittelvergiftung eingefangen habe und gleich am ersten Tag von dem Fisch umgehauen wurde, ich weiß es nicht. Es ist normal, dass Fremde Schwierigkeiten mit dem Essen und dem Wasser in Dörfern haben, es braucht einige Umstellung. Unsere Umstellung war heftig. Lisa hatte sehr viel stärkeren Durchfall noch und am vierten Tag Fieber wie ich zuvor. Pape kam mit dem Essen zurecht, allerdings stürzte er auf dem Weg in die nächste Stadt vom Fahrrad und schlug sich das Knie auf. Er übergab sich noch am selben Tag und beklagte sich in der Folge über Übelkeit, Kopfschmerzen, Gehschwierigkeiten. Er war auf dem Weg gewesen, den Koordinator zu bitten, uns wegen meines Fiebers früher abzuholen. Dann kam das Schlagloch. Seine Begleitung tötet eine sich nähernde Schlange. Pape wollte nach diesem Aufenthalt nur noch nach Hause. Hier in Kolda sah er keinen Weg zur Besserung mehr.
Kurzportrait des Dorfes
Maayel Roundé liegt 140 km von Kolda entfernt und ist mit einem Auto innerhalb von knapp drei Stunden zu erreichen. Unser Empfang ist warm und begeistert. Tostan scheint in diesem Dorf ein klangvoller Name zu sein. Die Menschen gehören der ethnischen Gruppe der Puular an, was auch ihre Sprache ist. Strom oder fließend Wasser gibt es nicht, Handyempfang Fehlanzeige, die Dorfbewohner verfügen über kein Auto oder Motorrad, nur Fahrräder. Kurz, dieses Dorf ist von der Zivilisation abgeschnitten. Die Bewohner leben in Lehmhütten mit Strohdächern, die bei Regen – und der ist zu dieser Jahreszeit häufig und heftig, wir hatten großes Glück, dass uns dieses Erlebnis erspart blieb! – abgedeckt werden können, mindestens aber wasserdurchlässig sind. Es gibt 18 Hütten für 145 Einwohner, darunter etwa 80 Kinder. Ihr Wasser holen sie sich aus einem Brunnen. Toiletten sind inzwischen einige wenige eingerichtet worden. Gemeint sind damit Löcher, die die Öffnung zu einer ausgehobenen Grube darstellen. Die Ernährung besteht in erster Linie aus dem, was in der Umgebung wächst, sich fangen oder halten lässt, Mais, Maniok, Erdnüsse aus den Feldern, Fisch aus dem Fluss, Hühner, Schafe, Kühe und Ziegen aus eigener Haltung mit entsprechenden Produkten wie Milch und Eiern, Reis wird zugekauft. Baumwolle wird angebaut und verkauft, aber nicht für den Weltmarkt. (Die Leute verdienen ganz vernünftig daran.) Gemüse wie Zucchini, Auberginen oder Möhren ist eher etwas Besonders, das man Besuchern wie uns anbietet. An der Menge leidet das Dorf nicht, meinte der ansässige Grundschullehrer, Omar, zu mir, „mais, c’est la qualité“, an den Vitaminen, an der Abwechslung hapere es.
Gastfreundschaft auf Senegalesisch
Wir werden mit Essen eingedeckt. Den ganzen Tag. Dies ist Ausdruck der Gastfreundschaft. Unsere Rationen bei den Mahlzeiten reichen für sechs hungrige Männer. Einmal kommt unser Tutor, Baïlo Diallo, besorgt in unsere Hütte nach dem Abendessen, wir hätten so wenig gegessen, ob wir eine andere Mahlzeit wünschten? Wir schlafen in seiner Hütte, die als einzige im ganzen Dorf über eine angeschlossene Duschecke und Toilette verfügt. Gleich nach unserer Ankunft wird uns Wasser zum Duschen angeboten, das für uns aus dem Brunnen geholt wird. Die Schaumstoffmatratzen auf hartem Untergrund sind okay. In der Hütte gibt es neben einem Bettgestell und ein paar Bildern des Präsidenten nichts. Wenn wir es ausgenutzt (oder: ausgekostet) hätten, wir hätten wir uns vier Tage lang bedienen lassen können.
Die Sprachbarriere
Es ist eine unheimlich ungewohnte Situation, kaum eine Möglichkeit zu haben, mit den Menschen zu kommunizieren. Wir fühlen uns gerade anfangs sehr hilflos. Drei Leute sprechen lediglich Französisch, darunter unser Tutor Baïlo, sie sind unser Medium, wie wir mit den Dorfbewohnern sprechen können. Selbst Pape hat kaum einen Weg, sich auszudrücken, weil seine Sprache, Wolof, im Senegal zu 80 Prozent verbreitet, nur von einem jungen Mann gesprochen wird. Unsere Versuche, einige Brocken Puular zu lernen, werden mit Begeisterung aufgenommen. Weit kommen wir allerdings nicht.
Das Projekt Grundschule
Seit etwa drei Jahren gibt es die erste Grundschulklasse in der Geschichte des Dorfs. Sie ist das Ergebnis der Arbeit eines Peace Corps Volunteers. Alle Altersgruppen bis 14 Jahre sind in einer Klasse, da kaum jemand zuvor über Schulbildung verfügte. Der Unterricht läuft von circa November bis Juli, wie der Regen es zulässt. Im Moment plant die Dorfgemeinschaft den Bau eines befestigten Schulhauses, denn im Moment reißt der Regen die Einrichtung aus Stöcken und Stroh noch Jahr für Jahr wieder auseinander. Omar, der Lehrer, selbst kommt aus einer anderen Region, spricht aber Puular, und muss für seinen Unterricht immer in zwei Sprachen recherchieren, damit er notfalls in Puular aushelfen kann, wenn seine Schüler ihn nicht verstehen. Denn der Unterricht läuft von Anfang an auf Französisch ab. Der Lehrer ist ein angenehmer junger Senegalese mit einer ruhigen Art. Er erzählt mir, dass die Lehrerausbildung im Senegal für sein Niveau neun Monate dauert, direkt nach dem Bac (Abitur) ansetzt und das Einstiegsgehalt bei 50000 F CFA liegt, rund 76 Euro. Dafür, dass er sich selbst versorgen und immer wieder bei Problemen im Dorf aushelfen muss, sei das nicht viel. In den Augen der Dorfbewohner verfügt er jedoch über viel Geld, meint er.
Die Arbeit von Tostan
Das Tostan-Programm läuft seit etwa einem halben Jahr. Im Moment durch die Regenzeit unterbrochen, können die Dorfbewohner die Fortsetzung des Unterrichts kaum erwarten. Im Gegensatz zur Grundschule ist die Unterrichtssprache Puular. Bei einem der wenigen Gespräche, die ich wegen meiner Erkrankung leider nur führen konnte, möchte ich wissen, ob es Widerstände gegen die Bewerbung bei Tostan gegeben habe. Doch auch als ich beharre und hervorhebe, welch große Entscheidung es ist, sich eine NGO ins Dorf zu holen, bleibt die Antwort „Non!“. In einem Nachbardorf, wird berichtet, hätten einige Männer jedoch Widerstand geleistet.
Tostan liegen momentan mehr Bewerbungen von Dörfern für sein Grundbildungsprogramm vor, als es mit seinen finanziellen Kapazitäten bedienen kann.
Eine der unmittelbaren Folgen der Tostan-Kurse ist fast (?) immer, dass sich das Dorfbild verschönert, weil die Bewohner mehr auf Sauberkeit achten, ihren Müll nicht mehr in alle Ecke schmeißen und sauber machen. Nachdem wir auf unserer Fahrt von Dakar nach Kolda Zwischenstopp in einigen Dörfern gemacht hatten, weiß ich diesen Umstand zu schätzen. Normal sind kleine Müllberge, die mit Fliegen und anderen Insekten überseht sind. Ich war erstaunt, in dem Dorf nur ein einziges Mal gestochen zu werden. Müll ist nur ein Punkt, da die Umgebung jedoch feucht ist, hatten wir durchaus mehr Moskitos erwartet.
Das Thema, welches uns ganz besonders interessierte, war die Beschneidung von Frauen. Die Puular praktizieren FGC (siehe vorangehenden Eintrag „Kurze Bemerkung zum Thema Female Genital Cutting“), im Gegensatz zu den Wolof in der Dakar-Gegend. In Maayel Roundé ist die Praxis jedoch bereits am Aussterben. Von den jüngeren Mädchen war offenbar keins beschnitten. Unser Tutor Baïlo erklärte, er habe seine Töchter nicht beschneiden lassen schon bevor das Ende von FGC dorfweit Anerkennung fand, um eine Vorbildfunktion einzunehmen.
Wie Baïlo, kaum 50, Aussehen aber wie 70, davon spricht, bewundere ich seine offensichtlichen Eifer, sein Dorf positiv zu verändern, und kann ihn nachvollziehen, wenn er uns auffordert, sein Dorf bald wieder zu besuchen, damit wir die Fortschritte begutachten können. Sein Eifer passt gut zu seinem Optimismus, dem Optimismus der Menschen hier. Ich konnte ihm nie verübeln, wenn er mich am Bett nach meinem Befinden fragte, ich antwortete, wie ich fühlte, „nicht besser“ und er aber meinte, ob es denn wenigstens ein bisschen gehe. Dies rang mir immer ein Lächeln ab und ich sagte dann, wie es dort üblich ist, „Peut-être un peu“ und wiederholte sein „Ca ira!“ (Das wird wieder.) Auch wenn die Lage nicht gut ist, das kann die Gesundheit sein, die wirtschaftliche Lage, die Leute, das habe ich auch schon anderorts beobachtet, betonen, dass es trotz allem geht und glauben an Besserung.
Uns stehen noch eine Reihe solcher Dorfbesuche bevor, denn hier findet die eigentliche Arbeit von Tostan statt. Im Moment klingt das noch erschreckend. Aber ich vertraue auf die Erfahrung, die zeigt, dass die ersten Besuche immer schwierig und anstrengend, ja auslaugend sind. Ich reflektiere nicht weiter, ich lasse die Eindrücke auf mich wirken. Einordnen lernt man die Dinge ohnehin immer erst, wenn man sie vergleichen kann.
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