Dienstag, Januar 17, 2006

Aufbruchsgedanken

Der neue Reisepassdrucker in der deutschen Botschaft in Dakar ist nicht funktionable, deshalb kann sie mir keinen neuen Reisepass ausstellen. Das einzige, was ich bekommen kann, ist eine Erlaubnis für die Rückkehr nach Deutschland. Ob ich damit auch bei den senegalesischen Behörden durchkommen werde, weiss weder ich noch die Botschaft.

Doch heute fährt eine Fähre nach Ziguinchor, direkt in die Casamance, die wir gerne nehmen würden um unsere Arbeit wieder aufzunehmen. Ob ich nun damit fahren darf oder nicht, werden wir später herausfinden. Wir sitzen auf gepackten Sachen (und wie auf heissen Kohlen) und werden unser Glück versuchen. Entweder wir sitzen schon heute um 16 Uhr in dieser Fähre, oder wir müssen die Fahrt um den Gambia herum aufnehmen, eine ermüdende Reise im Sept-places. In mir scheint alles zu rumoren.

Der letzte Monat in Dakar ist noch zu einer guten Zeit geworden. Sie lebte vor allem von der Begegnung mit vielen interessanten Menschen. Drei neue Voluntäre sind eingetroffen, drei AmerikanerInnen. Einer von ihnen hat seine Kindheit in Mosambik und Südafrika verbracht und kennt Nairobi gut. Diese Brücke von West- nach Ostafrika zu bauen ist hoch interessant. Denn es ist vor allem dieser Teil von Afrika, der durch Hungersnöte, Bürgerkriege, Rebellen, Kindersoldaten und Völkermorde in den Medien ist. Seine Eindrücke aus Nairobi sind dagegen viel gemässigter. Er konnte dort Leben und zur Schule gehen, er hat Freunde. Er liebt die Kultur und würde gerne zurückgehen. Es ist kein reiner Schauplatz des Schreckens.

Vor einigen Tagen traf eine Frau, sie heisst Kenny Mann, ein, die über Tostan einen Dokumentarfilm drehen will. Sie wuchs in Kenia auf, arbeitete dann einige Jahre in Deutschland und lebt inzwischen in New York. Sie arbeitete als Journalistin, Buchautorin, Uni-Professorin, Produzentin und Verkäuferin. Sie ist fast 60 Jahre alt, doch strotzt sie vor Energie. Sie packt dieses Projekt einer Doku fest an, ohne zu wissen, ob sie tatsächlich eine Finanzierung finden wird. Vielleicht wird sie den ganzen Film, denn jetzt arbeitet sie an einer Art von Demoversion, selbst und ohne Team drehen müssen. Das störte sie jedoch auch nicht, obwohl sie keine professionelle Kamerafrau ist.

Tabaski verbrachten wir bei Papes Familie in Thiès. Pape hatte uns auf unserer ersten Reise im September ins Landesinnnere, nach Kolda, begleitet. Ihn in seinem eigenen Milieu zu treffen war toll. Ein Schaf wurde vor unseren Augen zerlegt, ein nicht ganz leichter Anblick, doch wo kommt unser Hochglanzfleisch im Supermarkt wohl sonst her? (Und in Europa gibt es dafür Fabriken und Kettensägen und Massentierhaltung und Hormon/Antibiotika unterstützte Fütterung.) Pape nahm uns mit zu Freunden und Verwandten, denn der Festtag lebt von diesen Besuchen. Gegen Abend ziehen sich dafür alle ihre grossen Umhänge, die Boubous an, die sie oft extra für Tabaski besorgt haben, und ziehen durch die Nachbarschaft. Wir besuchten unter anderem eine Frau, die bei Tostan für das Gefängnisprogramm zuständig ist. Sie war wütend, weil eine der Freiwilligen Tabaski nicht bei ihr verbracht hatte. Trotzdem tischte sie uns eine stattliche Platte mit Schaf und Pommes Frites auf.

Sie erzählte uns, dass die Frauen im Gefängnis zu 30 in einem kleinen Raum von ca. 16 m² ausharren müssen, um ihre meist fünfjährigen Strafen abzusitzen. Vier von diesen Frauen hätten inzwischen ein Kind. Wieso wurden diese Frauen eingesperrt? Meistens, weil sie ihr Kind nicht haben wollten und es töteten. Ein aussereheliches Kind zu haben, wird im Senegal sozial nicht akzeptiert. Also fühlen sich manche Frauen zu diesem Schritt getrieben. Doch werden sie dabei erwischt, erwartet sie die vollständige soziale Isolation. Sie werden für 5-10 Jahre eingesperrt und viele bekommen kaum einen Besuch der Familie. Tostan versucht mit seinem Programm den Frauen den Neueinstieg in die Freiheit zu erleichern, denn ohne Fertigkeiten erwartet sie nach ihrer Entlassung nichts. Was sollen sie dann tun, ohne Familie, ohne Arbeit?

Wir waren Touristen und besuchten Gorée Island, ein ehemaliger Sklavenumschlagplatz, von den Portugiesen eingerichtet und den Franzosen weitergeführt. Die Insel läd zum Shoppen, aber auch zur Auseinandersetzung mit der Geschichte ein. Und wir besuchten den Leuchtturm von Dakar, der eine wunderbare Sicht über die ganze Stadt erlaubt. Wir zogen durch die Strassen und Märkte von Dakar und merkten, tatsächlich, in dieser Stadt kann man gemütlich essen ohne in ein Luxusrestaurant zu gehen, kann man sich auf ein Bier treffen, kann man sich an den vielen bunten Farben berauschen, wenn man den Lärm und den Verkehr und die vielen Händler nicht zu nahe treten lässt. Die Regeln sind hier andere als in Berlin oder Paris, doch die Stadt hat ihren eigenen Charme.

Mit diesen Eindrücken brechen wir hoffentlich wieder in das so andere Landesinnere auf und atmen die Landluft nochmal tief ein. Uns bleiben nur noch wenige Wochen, dann endet unser Aufenthalt. Im Moment weiss ich nicht genau, wo meine Gedanken eigentlich sind.