Ende einer Bignona-Realität, Anfang einer neuen
Am Montag werden wir uns in unser erstes ehemaliges Tostan-Unicef-Dorf aufmachen, drei Tag haben wir angesetzt. Wir werden von Malamin begleitet, einem Tostan-Supervisor, den wir auf der Konferenz und hier im Büro gut kennen gelernt haben. Er ist sehr erklärungsfreudig, aufgeschlossen und gegen Mitte 50. (Lisa beim Austeilen des Brots - das ich geschmiert habe -, der ersten Mahlzeit des Tages für alle fastenden Muslime. Alassane, der "Consultant Formateur" für die Nationale Sprache Diola bei Tostan, strahlt in die Kamera. Er genoss die Aufmerkamkeit einer Kamera sehr. Ganz links der Supervisor Youssouphe.)
Ich bin sehr gespannt, wie der Vergleich zwischen den beiden Dörfern ausfallen wird. Denn das letzte Dorf war gerade in einem frühen Stadium des Tostan-Programms, das kommende hat es bereits abgeschlossen. Das letzte lag weit draußen im Busch, völlig abgeschnitten, das kommende liegt nur knapp 40 Kilometer von unserem Büro in Bignona entfernt. In Dorf 1 hätten wir durchgehend futtern können, Dorf 2 wird von der Fastenzeit des Ramadan beruhigt sein. (Man wird uns trotzdem vorsorgen.) Im letzten Dorf erfassten mich Fieber, Durchfall und Schlafsucht, wie wird es mir diesmal gehen? Bin ich inzwischen immunisiert?
Anfang der Woche endete unsere lieb gewonnene Bignona-Realität im Schatten des Mangobaums, denn das Seminar ging zu Ende. Ich habe eine Menge über Tostan, sein Programm und seine Mitarbeiter gelernt. Mein Eindruck ist ausgesprochen positiv. Das Lehrmaterial ist ganz unübersehbar auf die Verhältnisse hier zugeschnitten, auf die Probleme, die die Menschen haben, auf ihren Entwicklungsstand. Die Facilitatoren sind ein engagiertes Völkchen, die oft einiges auf sich genommen haben, um für Tostan zu arbeiten. Ein Teilnehmer erzählte uns, er wolle die Bedingungen verbessern, unter denen die Menschen leben, und ihm sei wichtig, dass sich die Rolle der Frau weiterentwickle. Deswegen habe er sich an Tostan gewendet. Und nimmt damit auf sich, in "sein" Tostan-Dorf und von seinter Familie weg zu ziehen für die Dauer des Programms, denn die Facilitatoren sollen ihr Dorf genau kennen lernen. Nur so können sie sich wirklich auf die Menschen einlassen und mit ihnen zusammenarbeiten. (Der Krankenpfleger, der auf dem Seminar über die Folgen von Dehydrierung bei Durchfall sprach. Mit dem Messbecher demonstriert er die korrekte Mischung einer Salz-Zucker-Lösung. Die Zeichnungen im Hintergrund sind Unterrichtsmaterialien.)
Zum Abschluss gab es ein großes Festessen, Hähnchen mit Couscous, und den I-Punkt setzten Softdrinks für alle. Softdrinks: Cola, Fanta, Gazelle Limonade (ein lokales Getränk). Nicht: Sekt, Wein, Bier. (Abschiedsessen im Seminarraum unter Palmendach, mit Koordinator Bacary und Alassane; dahinter stehend Supervisor Lansana. In der Regel teilen sich fünf bis sechs Leute eine Platte, einige Seminarteilnehmer essen mit ihren Händen. Gewaschen sind sie, ob sie einen Löffel halten oder nicht.)
Softdrinks haben nicht den Stellenwert, den ich ihnen zuweise, wenn ich sie mir im Vorbeigehen am Straßenstand kaufe. Allerdings heißt das nicht, dass man sie – ich erinnere mich gut an die Worte meiner Eltern, wenn sie gänzlich typisch zu mir und meinem Bruder sagten: - „genießt!“. Auch ein besonders Getränk kippt runter.
Ebenso verhält es sich mit Essen und ich frage mich, ob dies nur an der Gemeinschaftsplatte liegt, die zum schnelleren Essen verleitet. Ein langsames Getränk wie bei uns der Wein ist der der Ataya, er dauert ewig in der Zubereitung, leicht eine Stunde für drei Durchläufe; so sitzt man vor allem wartend zusammen; der Verzehr nimmt nur Sekunden in Anspruch. Lisa und ich haben in den letzten Tagen ein sattes Stück Arbeit hingelegt.
Wir schreiben an dem Bericht über das Seminar und überarbeiten die Story über das erste Dorf. Es soll mehr wie ein informierter Erlebnisbericht werden, für den typischen Erfahrungshorizont eines Amerikaners oder Westeuropäers geschrieben. (Wer sich ans Bein gepinkelt fühlt, der achte g’schwind auf das linke Auge: es zwinkert!) Wir erforschen die grafischen Möglichkeiten von MS Word. So erfahre ich ein fast vergessenes Gefühl, jenes der Erschöpfung durch geistige Arbeit. (Unser Hinterhof, idealer Unterschlupf für hundgrosse Krähen, die morgens schon vor den Hähnen krähen.)
Eine Notiz zur: Malaria. Ich habe mir bei unserer Ankunft in Bignona kühn überlegt, die Prophylaxe abzusetzen. Inzwischen habe ich die Idee vorläufig verworfen. Es stimmt, wir haben die Moskitonetze, die Räucherstäbchen; am frühen Abend haben wir den Extraschutz durch die Insektizide. Stiche lassen sich trotzdem nicht vermeiden. In der Casamance besteht ein hohes Malariarisiko, die Krankheitsfälle finden sich in unserem nächsten Umfeld, zum Beispiel auf dem Seminar. Der Süden ist nicht wie Dakar. (Dort wütet die Cholera). Wenn ich mir jetzt angucke, mit welchen Schwierigkeiten ich mich in den ersten Tagen in Bignona auseinandergesetzt habe, wie es mir bei unserem ersten Dorfbesuch ging, einfach nur durch das Essen, das Wasser, die Luft, die Anstrengung – dann nehme ich dieses Extrastücken Sicherheit gerne noch für eine Weile mit.
Wir sind zwar bereits seit sechs Wochen im Senegal, doch wir waren viel unterwegs, deshalb fühle ich mich noch nicht richtig mit meiner Umgebung vertraut. Auch wenn vieles schon leichter geht; die täglichen Zurück- und Abweisungen von Händlern, Bettlern und ich-möchte-dein-Freund-werden-und-zwar-sofort-Typen nicht mehr so an meiner Stimmung nagen; der ewige Sonderstatus als Toubab – dem alle Kinder hinterherrufen und von dem alle erwarten, dass er sie mit seiner Kaufkraft segnet, weil sie überzeugt sind, dass er über Reichtümer verfügt – nicht mehr so an meinen Kräften zehrt. Der Umgang mit den Menschen wird routinierter.
Dem wird noch helfen: Diola lernen! Kürzlich meinte Malamin, als er mir gerade eine Spontan-Lektion (Ich, du, er, sie, es… 1, 2, 3, 4, 5, 5+1, 5+2… was kostet das? Zu teuer! … ) erteilte: „Tu risques parler couramment le Diola quand tu parts…“ Morasum! (Gute Nacht!)
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