Samstag, Oktober 08, 2005

Eine etwas steinige Eingewöhnung, aber dann...

Die letzten Tage bestanden aus zwei einfachen Dingen: 1) Eingewöhnung, 2) Tostan-Seminar. Ich bin heilfroh, dass ich diesen Text ohne die Untermalung der Koran-Rezitation schreiben darf, die der Chauffeuer, Bapise, gerne im Wechsel mit amerikanischem Hip-Hop hört. Auch wenn er beides nicht versteht. Ich nehme ihm seine Gewohnheit auch nicht übel, er ist ein cooler Typ, lehrt mich viel über Sprache und Verhalten in der Diola-Gesellschaft. Aber ich mache mit Punkt 1 weiter.

Die Eingewöhnung verlief unerwartet steinig. Lisa ist und ich war erkältet. Wenn sich der Körper mit bösen Erregern auseinandersetzen muss, hasst er es, wenn man ihn hohen Temperaturen, harten Stühlen und Moskitos aussetzt. Ich kann es ihm folglich nicht verübeln, dass er mir die Rechnung servierte.

Ich war in der letzten Woche zeitweise unglaublich genervt, überanstrengt, alle schienen was von mir zu wollen, die vielen neuen Namen und Diola-Vokabeln wollte nicht in meinen Kopf rein, der Schweiß fühlte sich an wie Urin, das mich pausenlos betröpfelt, die Tage wollten nicht enden und in den Nächten wartete unsere persönliche Sauna mit Moskitogarnierung.

In Bignona gibt es praktisch keine Möglichkeit, sich irgendwie zu zerstreuen. Das einzige Cybercafé nimmt für eine Stunde surfen 1000 F CFA (ca. 1,55 Euro), die Märkte sind klein, es gibt keine Cola Light (ein Laster, dem ich auf Reisen zu verfallen pflege). Es gibt sowieso keine netten Cafés, aus denen man die Leute beobachten könnte, kein Kino, keine Museen.

Also hängen wir den ganzen lieben langen Tag im Hotel Le Palmier auf dem Tostan-Seminar rum und versuchen irgendwie die Zeit totzuschlagen. Wenn wir heimkommen, gegen 22 Uhr, falle ich nur noch erschöpft ins Bett. Am Morgen wecken mich die schrillen Krähen, die Mistfiecher. (Endlich!!! Eine Karte. Ich habe unsere Stationen markiert bis Bignona, um den Gambia herum. Wir haben vorher fast zwei Wochen in Kolda, eine Station vor Bignona, verbracht.)

So ungefähr kam es mir an den schlechteren Tagen vor. Seit unserer Ankunft in Bignona vor anderthalb Wochen.

Natürlich ist das zu trübe. Meine Erkältung hat sich seit drei Tagen steil gebessert und damit ergibt sich ein anderes Bild. Bignona ist eine schöne Stadt mit einer entspannten Atmosphäre, umgeben von Palmen und Reisfeldern. Es gibt einen betonierten Bürgersteig an der Hauptstraße, den ersten, den ich im Senegal sehe. Ziguinchor als regionale Haupt- und Touristenstadt ist nah und attraktiv. Es gibt nette Restaurants, Buchläden (!) und coole Cybercafés (hier zu einem Drittel des Bignona-Preises). (Teilnehmer des Tostan-Seminars bei der Diskussion ihrer Fortschritte. Die Unterrichtssprache ist Diola.)

Das Problem mit den Moskitos unter unseren Netzen und der Hitze haben wir mit deutscher Gründlichkeit gelöst: 1. Vorhandene Netze gegen die eigenen imprägnierten ausgetauscht, 2. Einsatz von Anti-Moskito- Räucherstäbchen bei Nacht zur Vergiftung der Zimmerluft, 3. Verstärkter Tiefdruckeinsatz zur Erhöhung der Regenhäufigkeit. Die letzten Nächte waren himmlisch.

Wenn Bignona tatsächlich mit Regen beglückt wird, blüht alles auf, die Hitze verschwindet, die Wäsche darf von vorne trocknen und stinkt anschließend (meint Lisa), die Straßen versinken in Matsch. Regentage sind Festtage für mein Gemüt.

Ich arbeite an meiner Gesundheit. Wir alle kennen den Spruch vom täglichen Apfel und dem Doktor. Es gibt ein einfaches Rezept, wie ein afrikanischer Apfel garantiert nur gesund hält, und nicht krank macht. Den Apfel eine Viertelstunde in Eau de Javel (Wasser mit etwas Bleiche) einlegen, schon ist er sicher. Eau de Javel eignet sich übrigens auch hervorragend, um uralte Blutflecken oder frische Schokoladenerdnussaufstrichflecken von weißen T-Shirts zu entfernen. Fußnote: Lisa isst ihre Äpfel ohne Behandlung, bisher ohne Folgen.
Zum javelisierten Apfel aus der Elfenbeinküste esse ich mit südafrikanischem Apfelsaft besprenkelte Cornflakes aus Deutschland. Alles nette Artikel aus Ziguinchor.

Ich habe Muskelkater in Armen und Oberschenkeln aus zwei Gründen (ich habe heute diesen Ordnungstick). 1. Dem Sport Wäschewaschen, der umso beglückender ist, wenn vor dem letzten Spülgang das Wasser abgestellt wird, oder es einfach so wegbleibt. 2. Der afrikanischen Toilette (ohne weitere Ausführung).

Ich schätze es ist ein guter Zeitpunkt, diese Eingewöhnung langsam abzuschließen, denn gestern ruft die Direktorin, Molly Melching (Interview mit ihr in der Sidebar verlinkt), aus Dakar an und umreißt uns unseren Arbeitsauftrag. Sie geht gut auf uns ein und lässt Freiheiten. Sie will keine kalten Berichte, sondern dass wir das Leben und die Arbeit der Organisation mit den Augen eines Europäers, der Afrika nicht kennt, einfangen.

Ein frischer Schwung Energie floss in das Büro, Mrs. Melching hat eine umwerfende Art, Leute mitzureißen. Sie ist das Gehirn und Herz dieser Organisation. Selbst Lisa, die nicht die Angewohnheit hat, wie ich zu leicht über Arbeit in Aufregung zu verfallen, leuchteten die Augen. Ich werde davon erzählen.

Da war doch noch ein Punkt 2, das Seminar. Ein bisschen Mühe hat es mich schon gekostet, zu lernen, satte acht bis neun Stunden an einem einsamen Ort zu verbringen, mit unbequemen Stühlen, in der Hitze. Doch es ist eine sehr angenehme, anregende und entspannte Zeit geworden. Das Seminar dauert zwei Wochen, beackert die Themen Gesundheit und Hygiene, und bereitet knapp 30 Tostan-Lehrer (Facilitatrices et Facilitateurs) auf ihre weitere Arbeit in den Dörfern vor. Pausen gibt es nur zum Essen, beten und Fußball gucken (der Senegal hat sich leider nicht für die WM 2006 in Deutschland qualifiziert, trotz eines 3:0 Sieges gegen Mali heute). Nach dem Seminar geht es direkt wieder in die Dörfer. Die Arbeitsmoral ist bemerkenswert. (in Diskussion mit dem Koordinator von Tostan, unserem Gastgeber, Bacary Tamba)

Insbesondere auch deshalb: Der Monat des Ramadan ist vor drei Tagen angebrochen, die Mehrzahl der Seminarteilnehmer fastet, das heißt, kein Essen, kein Trinken bis Sonnenuntergang. Es ist eine anstrengende Zeit, aber danach gefragt, bekomme ich wiederholt entschiedene Antworten. Auch wenn der Grund für die Empfehlung des Koran nicht unbedingt bekannt ist.

Was treibe ich dort? Ich sitze. Ich lese. Das Tostan-Lehrbuch, Zeitschriften, das französische Buch eines senegalesischen Autors. Seit Neustem helfe ich sogar in der täglichen Arbeit aus. Ich lasse mich in Diola unterrichten, und unterhalte mich mit den so vielfältigen Leuten. (Bei einer Diskussion...)

Insbesondere mit dem Koordinator, Bacary. Er verdient noch ein eigenes Kapitel, eine unglaubliche Figur. Eine Lichtgestalt. Wenn er loslegt, biegen sich die Balken. Er versteht meine ungeschickt gestellten Fragen, bevor ich den Mund aufgemacht habe, und beantwortet sie mit Nachdruck.

Ca marche, le français, petit à petit, wir machen täglich Fortschritte. Schade ist, dass die Leute untereinander Diola sprechen. So entgeht uns die Chance, Französisch aufzuschnappen. Auf der anderen Seite sind Gesprächspartner immer leicht zu finden und das hilft enorm.

Es ist schön in dieser engagierten Gruppe Senegalesen. Ich versuche, nicht nur Gast zu sein, der wie ein König bedient und verpflegt wird – wie leicht kann man sich daran gewöhnen! – ich versuche, mich einzubringen, verrichte Arbeiten, die noch hauptsächlich Frauensache sind, wie das Essen auftischen, oder Brötchen schmieren. Am Anfang habe ich damit einiges Erstaunen geerntet.

Meine letzte Anekdote des Tages sei, dass uns alle um unsere PET-Wasserflaschen beknien. Inzwischen könnte ich eine Liste führen, wer die nächste leere Flasche bekommt. Bei einem Preis rund 330 CFA, knapp 0,50 Euro pro Flasche im Sechserpack kein Wunder. Zu dem Preis erhalte ich auf der Straße Biskuites für einen ganzen Tag, für schon 1000 CFA kann sich ein Senegalese spielend einen Tag lang ernähren. Das Wasserunternehmen kann sich freuen.