Freitag, Februar 24, 2006

Ein nahender AbschiedsBLOG

Huch... sind Lisa, Sabine (rechts) und die US-Freiwillige Jacky (links) etwa zum Islam konvertiert? Wollen sie etwa einen Senegalesen heiraten und müssen sich dem Druck dessen Familie beugen? Deswegen die Kopftücher? Viele muslimische Familien verlangen von potentiellen Schwiegertöchtern, zu konvertieren, auch wenn es ihnen bei Schwiegersöhnen dringender ist. Denn die Kinder übernehmen das Glaubensbekenntnis des Vaters.

Nein, Heiraten sind nicht der Anlass für die Verhüllungen. Wir haben letztes Wochenende die heilige Stadt Touba, Stadt der Moscheen und Marabouts, besucht. Wer die große Moschee betreten will, muss seine Schuhe in die Hand nehmen und Frauen sich außerdem verhüllen, selbst i
m Umkreis der Moschee. Frauen tragen einen langen Rock; für Männer sind die Regeln weniger streng. Was passiert, wenn eine Frau unverhüllt sich der Moschee nähert, frage ich unsere Senegalesische Begleitung, Pape, der mich beim Beten um ein Bild bat. "Man riskiert verhauen zu werden... Nein, es ist unvorstellbar. Ich weiß es nicht", antwortet er. Die Steine im Inneren der Moschee heizen selbst bei größter Sonnenhitze nicht auf, damit sich niemand die Füße verbrennt. Es gibt getrennte Betbereiche für Männer und Frauen, denn der Anblick von sich bückenden Frauen könnte Männer vom konzentrierten Beten ablenken. Der Vorbeter, Imam, ist ebenfalls immer ein Mann, denn die Stimme einer Frau könnte die Konzentration der Gläubigen zerstreuen.

Der Führer ermutigt uns auf Spanisch und Französisch permanent dazu, Fotos zu machen. Die Stadt ist an diesem Tag voller Menschen, die einem beruehmten Marabout zu seinem Todestag gedenken. Pape besucht seinen Marabout, hinterlässt ein Geldgeschenk und wird prompt zum Essen eingeladen. Unsere Begleitung mag eine Rolle gespielt haben.

Marabouts sind spirituelle Begleiter, ihre Anhänger können sie immer telefonisch um Rat fragen. Sie werden mit viel Geld eingedeckt und fügen über großen politischen Einfluss. Denn ihre Anhänger folgen ihnen häufig auch politisch. Der aktuelle senegalesische Präsident, Abdoulaye Wade, machte nach seiner Wahl seinen ersten Besuch in Touba. Die Marabouts haben außerdem Koranschüler, Talibés, die barfüßig bettelnd durch die sandigen Straßen der Städte Senegals ziehen. So fließen jedes Jahr viele Millionen Euro an Marabouts. Talibés leiden oft an Unterernährung und sind gesundheitlich unterversorgt. Auf der anderen Seite überlassen viele Eltern die Verantwortung, Kinder zu ernähren, den Marabouts. Ein bisschen kann man sich jedoch schon wundern, wenn man die prunkvollen Moscheen in Touba und anderorts sieht. Gibt es wirklich ein Geldproblem?

Die erweiterte Familie von Pape, dessen Mutter nahe Dakar in der Stadt Thiès wohnt, der jedoch zwecks Studium und Arbeit bei Tostan in der räumlichen Wohnung eines Onkels in Dakar einquartiert ist, reicht bis Touba. Wir treffen dort zwei Tanten und ihre Familien und werden selbstverständlich zum Essen eingeladen. Zum Festtag gibt es Huhn. Für mich war das bisher immer selbstverständliche Gastfreundschaft, wie wir sie überall
im Senegal kennengelernt haben. Pape erzählt uns jedoch später, welche Erwartungen an ihn herangetragen wurden. Die Tante, bei der wir essen, bittet ihn um eine kleine Unterstützung, schließlich arbeite er bei einer ausländischen NGO und sei mit weißen Freunden unterwegs. So müsse er doch Geld haben. (Tatsaechlich erhaelt er bei Tostan lediglich eine Erstattung seiner Fahrtkosten, er ist Freiwilliger wie wir.) Er gibt 1000 Fcfa aus seiner Tasche, die schon fuer die Fahrtkosten nach Touba zu leer ist. Die andere Tante leidet ebenfalls an Geldproblemen. Als wir sie besuchen, hält sie ein Neugeborenes in den Armen; Pape wusste nichts von ihrer Schwangerschaft. Doch ihr Mann ist arbeitslos. Er gibt 2000 Fcfa aus seiner Tasche. "Ich könnte sie nicht besuchen, ohne ihr was zu geben. Ihr Mann ist doch arbeitslos. Und sie ist Teil der Familie", erklärt Pape.

Bacary hatte uns vor einigen Wochen erzählt, welche Erwartungen an ihn als Tostan-Koordinator von 50 Dörfern und Mitglied der Familie Tamba herangetragen werden. Er lebt mit seinen sechs Kindern im Alter zwischen drei und 23, fünf Schulkinder darunter, in einem drei-Zimmer-Haus. Die Kinder teilen sich ein 12m²-Zimmer, in dem ein Bett und steht und eine Matratze liegt. Eine
Haushaltshilfe haben sie nur für die Wäsche; Haushaltshilfen sind im Senegal üblich. Besucher lädt er ohne zu Zögern zum Essen ein, er könnte nicht anders. Seine Stellung in Dörfern beschrieb er so: "Meine Faciliateure gelten als wohlhabend, weil sie ein festes monatliches Einkommen haben." Die meisten Dorfleute leben von Landwirtschaft--einer Facilitateurin fehlten einmal die Mittel, sich ein Busticket zurück in ihr Dorf zu kaufen, ca. 500 Fcfa (knapp 1 Euro), nachdem sie und ihr Sohn an Malaria erkrankt waren und sie Medikamente kaufen musste. Ein typisches Problem. "Kommen Superviseure ins Dorf, guckt man zu ihnen auf. Denn sie haben ein festes Einkommen und fahren ein Motorrad. Sie müssen Geld haben. Sie sind sehr angesehen." Superviseure haben meist 10 Dörfer, in denen sie Probleme regeln und den Facilitateur unterstützen, deswegen bekommen sie in Motorrad zur Verfügung gestellt. Bacary fuhr fort: "Ich jedoch komme in großem Geländewagen mit Chauffeur. In den Augen der Dorfleute bin ich reich. Wenn sie ein Problem haben, werden sie es an mich herantragen. Es mag ein Sack Reis fehlen, oder die Tochter krank geworden sein. Probleme gibt es in den Dörfern genug." Bacary wird in seinen Dörfern gefeiert wie ein König. Doch die vielen Erwartungen an ihn bereiten ihm Schwierigkeiten. Durch die ausgedehnten Afrikanischen Familien findet sich überall, in Dörfern, in der Nachbarschaft, jemand, der ein dringendes Problem hat (vor allem Nahrungsprobleme) und der ihn, mit seiner Position, um Hilfe bittet. (Abschiedsfoto mit Bacary vor dem Bignona-Büro, in Team-Look.)

Pape meinte, die großen Familien seien für viele Senegalesen ein Grund, auszuwandern, wenn sie nur die Moeglichkeit haben. In Europa können sie den Großteil ihres Einkommens für sich behalten. Ihr Familie im Senegal ein wenig zu unterstützen ist dann leicht. (Sonnenuntergang über dem Atlantik, Rückfahrt Ziguinchor-Dakar vor einer Woche.)

Die großen Familien sind Freunde und Ärgernis für die Menschen. Sie können sich auf Unterstützung verlassen, wenn sie in Schwierigkeiten geraten. Sie bringen jedoch auch viele Erwartungen mit sich.

Dass seine Familie Pape so direkt um Geld anbetteln würde, weil er mit Toubabs unterwegs ist, habe ich bisher nicht gekannt. Ich habe vor allem die Solidarität unter den Menschen geschaetzt (Dakar ist ein anderes Kapitel). Sie helfen sich aus. Sie sind nicht wohlhabend, aber genauso wenig kann eine Familie so weit abrutschen, dass die Kinder hungern müssten.

Es gibt eine wirklich schwierige Periode, wenn im Frühsommer die Vorräte aufgebraucht sind und die Ernte noch keine Erträge abgeworfen hat, wenn es zu wirklichen Schwierigkeiten in den Dörfern kommt. Zu Anfang der Regenzeit sind manchmal ganze Dörfer von der Außenwelt abgeschnitten. So wird es unmöglich, zum Beispiel Fisch zu besorgen oder Reis nachzukaufen. Das sind jedoch nur zwei Monate im Jahr, gegen Juli-August. Ansonsten werden Probleme von der Dorf- oder Familiengemeinschaft abgefedert. (Strand in Dakar, der zu wunderbaren Spaziergängen einläd. Zum Baden ist es leider zu kalt.)

Ich will kein idealisiertes Bild zeichnen. Der Senegal ist kein Paradies. Die Extreme sind jedoch geringer (außerhalb Dakar). Die Familienstrukturen sind fest. Die Menschen beschweren sich jedoch gleichzeitig, dass es schwer ist, wirklich Geld aus einem Gehalt zu gewinnen. (Blick auf den nördlichsten Zipfel von Dakar, das auf einer Halbinsel liegt und sich von dort aus ins Landesinnnere ausbreitet. Das Bild ist von der Anhöhe einer der Leuchtürme aus aufgenommen, den wir im Januar besucht haben.)

Unterdessen plaudert Jacky, oben im verhüllten Dress bei unserem Marabout-Essen, darüber, dass sie unter den den fünf, sechs aktuellen amerikanischen Volontären die einzige ist, die in ihrem Leben noch keine Antidepressiva genommen hat. Mich überraschte an sich, dass Jacky selbst ueber die neuen Volontären schon voll informiert ist. Medikamente zu nehmen ist so üblich, selbst unter jungen Menschen schon, dass es vollkommen normal für sie ist, darüber zu reden. Sie vergleichen Nebenwirkungen verschiedener Medikamente.

Alle amerikanischen Volontäre, die gerade hier sind, nehmen durchgehend ihre Malariaprävention, ueber Monate hinweg. Lisa und ich hatten sie nach Ende der Regenzeit abgesetzt, weil es Chemiekäulen sind, die die Stimmung beeinflussen und Alpträume auslösen können. Die Moskitobelastung ist jetzt sehr niedrig.

Es nähert sich das Ende unseres Aufenthalts. Unsere Arbeit ist fast
abgeschlossen; Anfang der Woche haben wir unseren letzten Artikel, über die Sensibilisierungstour einer Tostanklasse, fertiggestellt. Er ist fuer einen grossen Geldgeber von Tostan, die Annenberg Stiftung. Mir wird langsam bewusster, dass wir Tostan und den Senegal sehr bald verlassen werden. Es klingt merkwuerdig, doch vor einer Woche habe ich davon noch nichts gespuert. Abschiedsgefuehle hatte ich genuegend gehabt, als wir in Ziguinchor ins Schiff gestiegen sind. Ein Lebensabschnitt geht zu Ende und es wird ein prägender bleiben. Lisa wurde gestern von einer wahrscheinlich letzten Lebensmittelvergiftung umgehauen (wahrscheinlich eine Mayonnaise). Ich wusch einen Berg Wäsche. Muskelkater bekomme ich davon nicht mehr und die Sache sehen inzwischen sauber aus hinterher. Bald wird das wieder die Maschine übernehmen. Wir fahren mit einem Taxi durch die Stadt und holen Kleider beim Schneider ab. Wo sonst sollte man Kleider herbekommen? Die Geruchskulisse unter veralteten Taxis, LKWs und neben Muellbergen ist immer fuer neue Ueberraschungen gut. Die Köchin im Büro kocht Fisch und Reis zum Mittag und die Bonne im Volontärhaus räumt unser Zimmer auf. Dakar wird von kalten Winden überzogen, die es bis in die nationalen Nachrichten machen. Tagsüber nur 24 Grad mit Wind, und nachts nicht mehr als 15 Grad. Spaziergänge am Strand unter lauter jungen Menschen, die von einer Karriere als professionelle Fußballspieler träumen. Kaltes Duschwasser und überall Müllberge aus Essensresten, Batterien und Plastikflaschen, die oft einfach verbrannt werden. Dakar ist wahrscheinlich der einzige Ort im Senegal mit einer Müllabfuhr, die jedoch längst nicht den Bedarf deckt. Kaffee aus der Elfenbeinküste als einzige Wahlmöglichkeit, der jedoch in Europa in Instant-Kaffee verwandelt wird und angelehnt an die Produktionsfirma Nescafé heißt und nur gezuckert genießbar ist.

Unser Flug führt über Mailand, wo wir sechs Stunden Aufenthalt haben, zurück nach Berlin. Der Abflug liegt auf halb zwei Uhr morgens in Dakar. Es wird ein langer Tag werden, der 1. März. Es bleiben ein Wochenende unter unseren Senegalesischen und internationalen Freunden.