Heiratsantrag auf Senegalesisch
Es ist inzwischen schwierig geworden, Gedanken an die nahende Rückkehr in die alte Welt nicht zu denken. Das Ende ist nah, und doch, ich bin umgeben von Palmen und inzwischen trockenen Reisfeldern, die Sonne heizt die Luft tagsüber auf Werte jenseits von 34°C auf und schon leichte Winde wirbeln so viel Sand und Staub auf, dass ich mich an unseren kurzen Aufenthalt in der Wüste Senegals, der Fouta Region, Anfang November, erinnert fühle. Geregnet hat es seit Anfang November nicht mehr. Der Minzegeruch außerhalb Bignonas wurde von der Trockenheit aufgesaugt. Der Afrika-Cup heizt die Fußballlust in den Straßen ordentlich an, so dass ich beim Joggen durch die Viertel Bignonas kaum zum Luft holen komme wegen der vielen „Toubaaaaaab“-Rufe der Kinder. (Ortseingang von Ziguinchor, Esel und LKW; oben: Sept-places am Gare Routier von Ziguinchor)
Überraschenderweise regnet es heute Morgen, die vorher trockene Luft scheint wie ausgewechselt, sie riecht intensiv mit leichtem Grasstich.
Wir treffen Papise, unseren Fahrer, am Sonntagmorgen am Bahnhof von Ziguinchor. Er ist mit sieben Kolanüssen (bittere, leicht anregende Nussart) und dem stattlichen Geldbetrag von 5000 Fcfa (umgerechnet rund 8 Euro) im Handgepäck ausgerüstet. Der Morgen ist warm und mir stehen bereits um 9 Uhr die ersten Schweißperlen auf der Stirn. Wir besuchen die Familie der Freundin eines guten Freundes von Papise. Dieser Freund arbeitet auf Île de Gorée, Dakar, in einem Restaurant. Die Familie ist Mandinka, was Papise, ein Diola, jedoch nicht aufhält, er spricht Mandinka wie Diola (und Diola wie Wolof) und wechselt fließend. Wir stellen uns kurz vor, die Tochter (der Grund des Besuchs) wird gerufen, die wir ebenfalls begrüßen. Dann werden wir ins Haus geführt. Wir sitzen mit einer Tante und einem Onkel, und Papise erklärt, dass er im Namen seines Freundes in Dakar einen Heiratsantrag an ihre Nichte machen möchte.
Die Mutter schaut kurz vorbei, sie ist jedoch in diesem Schritt des Heiratsantrages noch nicht eingebunden. Der Vater bleibt ganz außen vor. Der erste Schritt eines Heiratsantrags richtet sich an die Familie einer zukünftigen Braut, nicht jedoch direkt an die Eltern. Diese werden anschließend informiert und werden ihre Tochter um ihre Meinung fragen. Eine kurze Weile später darf der Antragsteller dann wieder vorbeikommen. Wenn die Gefragte eingewilligt hat, findet zwei Monate später die Hochzeit statt. Ein Veto kann nur ihr Vater einlegen.
Dies ist die eine Variante zu heiraten. Bei der traditionellen wird die Heirat vom Vater arrangiert, d.h. er sucht seiner Tochter einen Bräutigam, verspricht sie oft schon in jungem Alter, die mehr oder weniger viel Mitspracherecht hat: Sie darf ein Angebot entweder ausschlagen, ihr Vater sucht weiter, oder sie muss seine Wahl einfach akzeptieren. Beide Varianten sind unter den Mandinka noch üblich.
Der Vater legt ein Veto ein – soweit sind wir noch nicht. Der Onkel ist dabei, ein weiteres Familiemitglied in den Raum zu holen um ihm Papises Erklärung zu wiederholen. Das wiederholt sich mit zwei weiteren Familienmitgliedern. Jedes Mal reichen sie die Kolanüsse weiter; wo das Geldgeschenk hängen geblieben ist, weiß ich nicht. Die ganze Prozedur dauert kaum 15 Minuten und wir fangen an zu warten. Wie könnte man bei so einem Anlass keinen Hunger haben? Wir sitzen unter einem Aluminiumdach, der Raum heizt auf. Der Staub lässt sich auf Kleidern und Haut nieder. Wir warten lang. Doch als unser Gericht, Nudeln/Reis, Rinderfleisch und eine scharfe Zwiebel-Rosinensauce, endlich kommt, setzt sich die Zukünftige zu uns: ein gutes Zeichen! (Rechts die Angebetete, Fatou Sonko, links eine Freundin von ihr, Lisa mit langen Ohren und Papise, der "Antragsteller")
Ein Heiratsantrag wird nicht vom Antragssteller direkt, sondern entweder von seinen Eltern oder einem guten Freund gemacht. Das zukünftige Paar hat sich in Dakar kennengelernt und sich versprochen zu heiraten; doch der zukünftige Bräutigam hatte noch gezögert. Er erfuhr von Papises Schritt abends von seiner zukünftigen Frau. Ich glaube, er war sehr aufgeregt…
Diese Woche schien Lisa endlose Stunden vor ihrem Computer zu verbringen und Punkte in eine bunte Grafik zu malen. Die Punkte stehen für Tostan-Dörfer, die Grafik ist eine Karte des Departements. Mit dieser Karte illustrieren wir die Ausbreitung eines Tostan-Projekts. Bisher weiß selbst die Direktorin, Molly Melching, nicht, wie weit dieses Departement mit Tostan-Dörfern abgedeckt ist; niemand weiß es so richtig. Die zwei Koordinatoren arbeiten eigenständig, der eine in 30 Diola-Dörfern, der andere in 10 Mandinka und 20 Fulani-Dörfern. Die Karte ist ein Teil unseres Projekts. Die andere ist die Frage, wie die Veränderung von Sozialverhalten zu Stande kommt. Tostan weiß, dass seine Sensibilisierungsmittel gut funktionieren, doch wie sie genau ablaufen, nicht. Deshalb werden wir morgen eine solche Tour begleiten und dokumentieren. (Kind mit Spielzeug aus Bleicheflasche)
Tostan wählt für sein Programm Dörfer aus, die über Einfluss in ihrem Gebiet verfügen. Einfluss hat, wer frequentiert wird, so dass sich Informationen von diesem Punkt aus verbreiten. Warum wird ein Dorf frequentiert? Wegen Boutiquen, einer Moschee, einer Schule, einem Markt, einem Erdnusslager, einem kollektiven Reisfeld usw. Bei diesen Gelegenheiten tauschen sich die Menschen aus. Soziale Anlässe spielen ebenfalls eine wichtige Rolle: Hochzeiten, Taufen, Beerdigungen, Tänze, traditionelle Kämpfe usw. Gerade Heiratsbeziehungen sind wichtig, denn weil Frauen ihr Dorf bei der Heirat verlassen, haben sie Eltern in einem anderen Dorf, die sie besuchen. Wenn es um Fragen wie Beschneidung oder vorzeitige/erzwungene Heiraten geht, ist es zentral, alle Arme der Familie in die Entscheidung mit einzubinden. Oft sind es diese Frauen, die dann eine Info-Tour in ihr Dorf organisieren, um dort über das Wissen über Menschenrechte, Hygiene und Gesundheit, Problemlösungsstrategien etc. zu sprechen. Häufig richten Dörfer anschließend eine Anfrage an Tostan, selbst eine Klasse zu bekommen, oder wenigstens den Facilitator, Tostan-Lehrer, einmal in ihrem Dorf willkommen heißen zu dürfen. Jedes Tostan-Dorf hat eine Reihe von benachbarten Dörfern, mit dessen Einwohnern die Klassenteilnehmer sich regelmäßig austauschen. Auch dies versuchen wir auf der Karte zu illustrieren: Die Abdeckung des Departements durch solche Sensibilisierungsaktionen. (Bei einer Wanderung früh Morgens durch die Mangrovenfelder vor Ziguinchor)
Unser Koordinator, Bacary Tamba, versteht von Computern „soviel wie ’ne Kuh vom Kräbbel backen“ (sagte man Bruder früher immer). (Kräbbel, ohne Garantie für die Schreibweise, sind ein hessische Spezialität, so ’ne Art Muffins, aber ohne Loch in der Mitte, Zuckerbestäubung, meist mit Marmeladenfüllung, mein Vater bevorzugt sie jedoch ohne.) In dieser Woche erklärte ich ihm jedoch, dass Computer Strom brauchen, wie man einen Doppelklick macht, wie man mit einer Taste drei verschiedene Buchstaben erreichen kann… Inzwischen tippt er schon Texte mit Word. Er lernt erstaunlich schnell und ist stolz darauf. Diese Erfahrung mit jemanden zu arbeiten, der keine Vorstellung von Computern hat, ist eine neue. Die meisten Leute hier wissen jedoch mit PCs nicht umzugehen. Die Sekretärin ist in der ganzen Bignona-Koordination mit ihren rund 60 Mitarbeitern die einzige Kennerin, bisher. Mehr Schulungen sind dringend nötig. (Krabbenessen in Ziguinchor...)
Bei Bacary ist die Tage zu beobachten, dass vier Kücken zwei Mütter zu haben scheinen. Sie ähneln alle dem einen Huhn, doch folgen den beiden bei der Futtersuche. Als die Tage ein Schaf nach Essen suchte, prustete sich Mutter-1 auf, breitete ihre Flügel aus und ging mit beiden Krallen gespreizt kreischend auf dieses Schaf los. Es ergriff die Flucht. Heute attackierte es sogar eine der Töchter, die eines ihrer kleinen anrührte. (Piroguenfahrt auf dem Casamance-Fluss)
… und trotz allem…
Die Fragen drehen sich in meinem Kopf, wie wird Berlin auf mich wirken, wie wird mir das Leben und seine Freizeitvergnügen gefallen, wie stark werden mir die Menschen und ihre bunten Kleider, ihre aufgeschlossene Art, fehlen. Bei Tostan mangelt es an Arbeit nicht. Am spannendsten ist die Expansion in andere Länder, insbesondere den Gambia, wo Bacary neuer Koordinator wird sobald die Verhandlungen mit der Regierung abgeschlossen sind. Er würde uns gerne mitnehmen.
Unser Boot nach Dakar geht am Donnerstag.
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