Montag, Februar 27, 2006

Zurückkommen

Als ich im September mit Lisa in das Flugzeug nach Dakar stieg, wusste ich, dass alles anders und neu sein würde. Ich hatte keine Idee vom Leben in Afrika, von seiner Gesellschaft, von seinem Entwicklungsstand. Ich kannte nur Fernsehbilder von Hungersnöten und Berichte über Kindersoldaten in Bürgerkriegen. Ich war eingestellt auf Magenverstimmungen und Malaria-Moskitos, Verwirrung und Überforderung. Ob mir die Arbeit mit Tostan zusagen würde, wusste ich eben so wenig .

Vor unserem Rückflug morgen Nacht nach Berlin habe ich ein etwas anderes Gefühl. Ich kenne den Zielflughafen, seine Stadt. Meine Familie und Freunde erwarten mich dort. Ich werde kein neues Studium anfangen, sondern lediglich das alte fortsetzen, in dem ich mich schon zwei Jahre lang orientiert habe. Ich habe lebhafte Erinnerungen an alle Orte. Ich habe Einkaufsvorlieben - Bioläden -, Parks, in denen ich am liebsten Joggen gehe, Kinos, die meine Filme spielen. Ich weiss, dass mich Tagespolitik ermüdet und der Potsdamer Bahnhof nur einer von zu vielen grellen, sterilen, leblosen Konsumpalästen ist.

Und doch weiss ich fast gar nichts. Ich kann mir ausmalen, dass viele Dinge in einem neuen Licht erscheinen werden, ich sie mit neuen Augen wahrnehmen werde. Darin besteht die grosse Unbekannte. Ich kehre in bekanntes Terrain zurück, doch wird vieles neu erscheinen. Und davon habe keine Vorstellung, genau so wenig wie von der Art und Weise, wie ich auf diese neue Situation reagieren werde, in eine neue alte Welt zu kommen.

Das Zurückkommen gehört dazu wie das Reisen an sich!, schreibt mir eine gute Freudin. Sie hat recht. Indem ich zurückkomme, werde ich gezwungen, mir meiner eigenen Position bewusst zu werden. Mit dem Zurückkommen muss ich meinen eigenen Platz in der Gesellschaft neu definieren, denn eine neue Gesellschaft, neue Erfahrungen und Menschen sind ein Teil von mir geworden. Ich werde mir über mein weiteres Studium Gedanken machen müssen, das bisher nichts mit meinen Erfahrungen im Senegal zu hatte, und damit in einen Konflikt mit diesen neuen Erfahrungen gerät.

Es ist schwierig, eine Erfahrung wie diese kurz und knapp zusammenzufassen. Bei unser Rückfahrt nach Dakar zeigte Lisa mir folgendes Gedicht von Erich Fried, das mir gefiel. Es heisst "Einige Irrwege":

Wer sich abwendet von der Schönheit
der begeht
Verrat an der Schönheit des Lebens
und an der Schönheit der Welt

Wer sich abwendet von der Hässlichkeit
der begeht
Verrat an den Leiden des Lebens
und kämpft nicht mehr gegen Unrecht

Wer nur noch die Schönheit sieht
der geht in die Irre
Wer nur noch die Hässlichkeit sieht

der geht in die Irre
Wer nur noch den Kampf gegen Unrecht sieht
der geht in die Irre

Wer glaubt nie zweifeln zu dürfen
an der Schönheit
an der Hässlichkeit oder sogar
am Kampf gegen Unrecht
der ist so arm geworden
wie der der zweifelt
und glaubt nie mehr glauben zu dürfen

(Bild oben: Das World Press Photo des Jahres 2005 ist vom Reuters Fotografen Finnbar O'Reilly: Es zeigt eine Mutter und die Hand ihres Kindes an ihrem Mund in einer Nothilfestation in Tahoua in Niger.
Bild unten: Die Teilnehmer der Tostanklasse bei unserem Besuch im Oktober 2005.)

Freitag, Februar 24, 2006

Ein nahender AbschiedsBLOG

Huch... sind Lisa, Sabine (rechts) und die US-Freiwillige Jacky (links) etwa zum Islam konvertiert? Wollen sie etwa einen Senegalesen heiraten und müssen sich dem Druck dessen Familie beugen? Deswegen die Kopftücher? Viele muslimische Familien verlangen von potentiellen Schwiegertöchtern, zu konvertieren, auch wenn es ihnen bei Schwiegersöhnen dringender ist. Denn die Kinder übernehmen das Glaubensbekenntnis des Vaters.

Nein, Heiraten sind nicht der Anlass für die Verhüllungen. Wir haben letztes Wochenende die heilige Stadt Touba, Stadt der Moscheen und Marabouts, besucht. Wer die große Moschee betreten will, muss seine Schuhe in die Hand nehmen und Frauen sich außerdem verhüllen, selbst i
m Umkreis der Moschee. Frauen tragen einen langen Rock; für Männer sind die Regeln weniger streng. Was passiert, wenn eine Frau unverhüllt sich der Moschee nähert, frage ich unsere Senegalesische Begleitung, Pape, der mich beim Beten um ein Bild bat. "Man riskiert verhauen zu werden... Nein, es ist unvorstellbar. Ich weiß es nicht", antwortet er. Die Steine im Inneren der Moschee heizen selbst bei größter Sonnenhitze nicht auf, damit sich niemand die Füße verbrennt. Es gibt getrennte Betbereiche für Männer und Frauen, denn der Anblick von sich bückenden Frauen könnte Männer vom konzentrierten Beten ablenken. Der Vorbeter, Imam, ist ebenfalls immer ein Mann, denn die Stimme einer Frau könnte die Konzentration der Gläubigen zerstreuen.

Der Führer ermutigt uns auf Spanisch und Französisch permanent dazu, Fotos zu machen. Die Stadt ist an diesem Tag voller Menschen, die einem beruehmten Marabout zu seinem Todestag gedenken. Pape besucht seinen Marabout, hinterlässt ein Geldgeschenk und wird prompt zum Essen eingeladen. Unsere Begleitung mag eine Rolle gespielt haben.

Marabouts sind spirituelle Begleiter, ihre Anhänger können sie immer telefonisch um Rat fragen. Sie werden mit viel Geld eingedeckt und fügen über großen politischen Einfluss. Denn ihre Anhänger folgen ihnen häufig auch politisch. Der aktuelle senegalesische Präsident, Abdoulaye Wade, machte nach seiner Wahl seinen ersten Besuch in Touba. Die Marabouts haben außerdem Koranschüler, Talibés, die barfüßig bettelnd durch die sandigen Straßen der Städte Senegals ziehen. So fließen jedes Jahr viele Millionen Euro an Marabouts. Talibés leiden oft an Unterernährung und sind gesundheitlich unterversorgt. Auf der anderen Seite überlassen viele Eltern die Verantwortung, Kinder zu ernähren, den Marabouts. Ein bisschen kann man sich jedoch schon wundern, wenn man die prunkvollen Moscheen in Touba und anderorts sieht. Gibt es wirklich ein Geldproblem?

Die erweiterte Familie von Pape, dessen Mutter nahe Dakar in der Stadt Thiès wohnt, der jedoch zwecks Studium und Arbeit bei Tostan in der räumlichen Wohnung eines Onkels in Dakar einquartiert ist, reicht bis Touba. Wir treffen dort zwei Tanten und ihre Familien und werden selbstverständlich zum Essen eingeladen. Zum Festtag gibt es Huhn. Für mich war das bisher immer selbstverständliche Gastfreundschaft, wie wir sie überall
im Senegal kennengelernt haben. Pape erzählt uns jedoch später, welche Erwartungen an ihn herangetragen wurden. Die Tante, bei der wir essen, bittet ihn um eine kleine Unterstützung, schließlich arbeite er bei einer ausländischen NGO und sei mit weißen Freunden unterwegs. So müsse er doch Geld haben. (Tatsaechlich erhaelt er bei Tostan lediglich eine Erstattung seiner Fahrtkosten, er ist Freiwilliger wie wir.) Er gibt 1000 Fcfa aus seiner Tasche, die schon fuer die Fahrtkosten nach Touba zu leer ist. Die andere Tante leidet ebenfalls an Geldproblemen. Als wir sie besuchen, hält sie ein Neugeborenes in den Armen; Pape wusste nichts von ihrer Schwangerschaft. Doch ihr Mann ist arbeitslos. Er gibt 2000 Fcfa aus seiner Tasche. "Ich könnte sie nicht besuchen, ohne ihr was zu geben. Ihr Mann ist doch arbeitslos. Und sie ist Teil der Familie", erklärt Pape.

Bacary hatte uns vor einigen Wochen erzählt, welche Erwartungen an ihn als Tostan-Koordinator von 50 Dörfern und Mitglied der Familie Tamba herangetragen werden. Er lebt mit seinen sechs Kindern im Alter zwischen drei und 23, fünf Schulkinder darunter, in einem drei-Zimmer-Haus. Die Kinder teilen sich ein 12m²-Zimmer, in dem ein Bett und steht und eine Matratze liegt. Eine
Haushaltshilfe haben sie nur für die Wäsche; Haushaltshilfen sind im Senegal üblich. Besucher lädt er ohne zu Zögern zum Essen ein, er könnte nicht anders. Seine Stellung in Dörfern beschrieb er so: "Meine Faciliateure gelten als wohlhabend, weil sie ein festes monatliches Einkommen haben." Die meisten Dorfleute leben von Landwirtschaft--einer Facilitateurin fehlten einmal die Mittel, sich ein Busticket zurück in ihr Dorf zu kaufen, ca. 500 Fcfa (knapp 1 Euro), nachdem sie und ihr Sohn an Malaria erkrankt waren und sie Medikamente kaufen musste. Ein typisches Problem. "Kommen Superviseure ins Dorf, guckt man zu ihnen auf. Denn sie haben ein festes Einkommen und fahren ein Motorrad. Sie müssen Geld haben. Sie sind sehr angesehen." Superviseure haben meist 10 Dörfer, in denen sie Probleme regeln und den Facilitateur unterstützen, deswegen bekommen sie in Motorrad zur Verfügung gestellt. Bacary fuhr fort: "Ich jedoch komme in großem Geländewagen mit Chauffeur. In den Augen der Dorfleute bin ich reich. Wenn sie ein Problem haben, werden sie es an mich herantragen. Es mag ein Sack Reis fehlen, oder die Tochter krank geworden sein. Probleme gibt es in den Dörfern genug." Bacary wird in seinen Dörfern gefeiert wie ein König. Doch die vielen Erwartungen an ihn bereiten ihm Schwierigkeiten. Durch die ausgedehnten Afrikanischen Familien findet sich überall, in Dörfern, in der Nachbarschaft, jemand, der ein dringendes Problem hat (vor allem Nahrungsprobleme) und der ihn, mit seiner Position, um Hilfe bittet. (Abschiedsfoto mit Bacary vor dem Bignona-Büro, in Team-Look.)

Pape meinte, die großen Familien seien für viele Senegalesen ein Grund, auszuwandern, wenn sie nur die Moeglichkeit haben. In Europa können sie den Großteil ihres Einkommens für sich behalten. Ihr Familie im Senegal ein wenig zu unterstützen ist dann leicht. (Sonnenuntergang über dem Atlantik, Rückfahrt Ziguinchor-Dakar vor einer Woche.)

Die großen Familien sind Freunde und Ärgernis für die Menschen. Sie können sich auf Unterstützung verlassen, wenn sie in Schwierigkeiten geraten. Sie bringen jedoch auch viele Erwartungen mit sich.

Dass seine Familie Pape so direkt um Geld anbetteln würde, weil er mit Toubabs unterwegs ist, habe ich bisher nicht gekannt. Ich habe vor allem die Solidarität unter den Menschen geschaetzt (Dakar ist ein anderes Kapitel). Sie helfen sich aus. Sie sind nicht wohlhabend, aber genauso wenig kann eine Familie so weit abrutschen, dass die Kinder hungern müssten.

Es gibt eine wirklich schwierige Periode, wenn im Frühsommer die Vorräte aufgebraucht sind und die Ernte noch keine Erträge abgeworfen hat, wenn es zu wirklichen Schwierigkeiten in den Dörfern kommt. Zu Anfang der Regenzeit sind manchmal ganze Dörfer von der Außenwelt abgeschnitten. So wird es unmöglich, zum Beispiel Fisch zu besorgen oder Reis nachzukaufen. Das sind jedoch nur zwei Monate im Jahr, gegen Juli-August. Ansonsten werden Probleme von der Dorf- oder Familiengemeinschaft abgefedert. (Strand in Dakar, der zu wunderbaren Spaziergängen einläd. Zum Baden ist es leider zu kalt.)

Ich will kein idealisiertes Bild zeichnen. Der Senegal ist kein Paradies. Die Extreme sind jedoch geringer (außerhalb Dakar). Die Familienstrukturen sind fest. Die Menschen beschweren sich jedoch gleichzeitig, dass es schwer ist, wirklich Geld aus einem Gehalt zu gewinnen. (Blick auf den nördlichsten Zipfel von Dakar, das auf einer Halbinsel liegt und sich von dort aus ins Landesinnnere ausbreitet. Das Bild ist von der Anhöhe einer der Leuchtürme aus aufgenommen, den wir im Januar besucht haben.)

Unterdessen plaudert Jacky, oben im verhüllten Dress bei unserem Marabout-Essen, darüber, dass sie unter den den fünf, sechs aktuellen amerikanischen Volontären die einzige ist, die in ihrem Leben noch keine Antidepressiva genommen hat. Mich überraschte an sich, dass Jacky selbst ueber die neuen Volontären schon voll informiert ist. Medikamente zu nehmen ist so üblich, selbst unter jungen Menschen schon, dass es vollkommen normal für sie ist, darüber zu reden. Sie vergleichen Nebenwirkungen verschiedener Medikamente.

Alle amerikanischen Volontäre, die gerade hier sind, nehmen durchgehend ihre Malariaprävention, ueber Monate hinweg. Lisa und ich hatten sie nach Ende der Regenzeit abgesetzt, weil es Chemiekäulen sind, die die Stimmung beeinflussen und Alpträume auslösen können. Die Moskitobelastung ist jetzt sehr niedrig.

Es nähert sich das Ende unseres Aufenthalts. Unsere Arbeit ist fast
abgeschlossen; Anfang der Woche haben wir unseren letzten Artikel, über die Sensibilisierungstour einer Tostanklasse, fertiggestellt. Er ist fuer einen grossen Geldgeber von Tostan, die Annenberg Stiftung. Mir wird langsam bewusster, dass wir Tostan und den Senegal sehr bald verlassen werden. Es klingt merkwuerdig, doch vor einer Woche habe ich davon noch nichts gespuert. Abschiedsgefuehle hatte ich genuegend gehabt, als wir in Ziguinchor ins Schiff gestiegen sind. Ein Lebensabschnitt geht zu Ende und es wird ein prägender bleiben. Lisa wurde gestern von einer wahrscheinlich letzten Lebensmittelvergiftung umgehauen (wahrscheinlich eine Mayonnaise). Ich wusch einen Berg Wäsche. Muskelkater bekomme ich davon nicht mehr und die Sache sehen inzwischen sauber aus hinterher. Bald wird das wieder die Maschine übernehmen. Wir fahren mit einem Taxi durch die Stadt und holen Kleider beim Schneider ab. Wo sonst sollte man Kleider herbekommen? Die Geruchskulisse unter veralteten Taxis, LKWs und neben Muellbergen ist immer fuer neue Ueberraschungen gut. Die Köchin im Büro kocht Fisch und Reis zum Mittag und die Bonne im Volontärhaus räumt unser Zimmer auf. Dakar wird von kalten Winden überzogen, die es bis in die nationalen Nachrichten machen. Tagsüber nur 24 Grad mit Wind, und nachts nicht mehr als 15 Grad. Spaziergänge am Strand unter lauter jungen Menschen, die von einer Karriere als professionelle Fußballspieler träumen. Kaltes Duschwasser und überall Müllberge aus Essensresten, Batterien und Plastikflaschen, die oft einfach verbrannt werden. Dakar ist wahrscheinlich der einzige Ort im Senegal mit einer Müllabfuhr, die jedoch längst nicht den Bedarf deckt. Kaffee aus der Elfenbeinküste als einzige Wahlmöglichkeit, der jedoch in Europa in Instant-Kaffee verwandelt wird und angelehnt an die Produktionsfirma Nescafé heißt und nur gezuckert genießbar ist.

Unser Flug führt über Mailand, wo wir sechs Stunden Aufenthalt haben, zurück nach Berlin. Der Abflug liegt auf halb zwei Uhr morgens in Dakar. Es wird ein langer Tag werden, der 1. März. Es bleiben ein Wochenende unter unseren Senegalesischen und internationalen Freunden.


Montag, Februar 13, 2006

Heiratsantrag auf Senegalesisch

Es ist inzwischen schwierig geworden, Gedanken an die nahende Rückkehr in die alte Welt nicht zu denken. Das Ende ist nah, und doch, ich bin umgeben von Palmen und inzwischen trockenen Reisfeldern, die Sonne heizt die Luft tagsüber auf Werte jenseits von 34°C auf und schon leichte Winde wirbeln so viel Sand und Staub auf, dass ich mich an unseren kurzen Aufenthalt in der Wüste Senegals, der Fouta Region, Anfang November, erinnert fühle. Geregnet hat es seit Anfang November nicht mehr. Der Minzegeruch außerhalb Bignonas wurde von der Trockenheit aufgesaugt. Der Afrika-Cup heizt die Fußballlust in den Straßen ordentlich an, so dass ich beim Joggen durch die Viertel Bignonas kaum zum Luft holen komme wegen der vielen „Toubaaaaaab“-Rufe der Kinder. (Ortseingang von Ziguinchor, Esel und LKW; oben: Sept-places am Gare Routier von Ziguinchor)

Überraschenderweise regnet es heute Morgen, die vorher trockene Luft scheint wie ausgewechselt, sie riecht intensiv mit leichtem Grasstich.

Wir treffen Papise, unseren Fahrer, am Sonntagmorgen am Bahnhof von Ziguinchor. Er ist mit sieben Kolanüssen (bittere, leicht anregende Nussart) und dem stattlichen Geldbetrag von 5000 Fcfa (umgerechnet rund 8 Euro) im Handgepäck ausgerüstet. Der Morgen ist warm und mir stehen bereits um 9 Uhr die ersten Schweißperlen auf der Stirn. Wir besuchen die Familie der Freundin eines guten Freundes von Papise. Dieser Freund arbeitet auf Île de Gorée, Dakar, in einem Restaurant. Die Familie ist Mandinka, was Papise, ein Diola, jedoch nicht aufhält, er spricht Mandinka wie Diola (und Diola wie Wolof) und wechselt fließend. Wir stellen uns kurz vor, die Tochter (der Grund des Besuchs) wird gerufen, die wir ebenfalls begrüßen. Dann werden wir ins Haus geführt. Wir sitzen mit einer Tante und einem Onkel, und Papise erklärt, dass er im Namen seines Freundes in Dakar einen Heiratsantrag an ihre Nichte machen möchte.

Die Mutter schaut kurz vorbei, sie ist jedoch in diesem Schritt des Heiratsantrages noch nicht eingebunden. Der Vater bleibt ganz außen vor. Der erste Schritt eines Heiratsantrags richtet sich an die Familie einer zukünftigen Braut, nicht jedoch direkt an die Eltern. Diese werden anschließend informiert und werden ihre Tochter um ihre Meinung fragen. Eine kurze Weile später darf der Antragsteller dann wieder vorbeikommen. Wenn die Gefragte eingewilligt hat, findet zwei Monate später die Hochzeit statt. Ein Veto kann nur ihr Vater einlegen.

Dies ist die eine Variante zu heiraten. Bei der traditionellen wird die Heirat vom Vater arrangiert, d.h. er sucht seiner Tochter einen Bräutigam, verspricht sie oft schon in jungem Alter, die mehr oder weniger viel Mitspracherecht hat: Sie darf ein Angebot entweder ausschlagen, ihr Vater sucht weiter, oder sie muss seine Wahl einfach akzeptieren. Beide Varianten sind unter den Mandinka noch üblich.

Der Vater legt ein Veto ein – soweit sind wir noch nicht. Der Onkel ist dabei, ein weiteres Familiemitglied in den Raum zu holen um ihm Papises Erklärung zu wiederholen. Das wiederholt sich mit zwei weiteren Familienmitgliedern. Jedes Mal reichen sie die Kolanüsse weiter; wo das Geldgeschenk hängen geblieben ist, weiß ich nicht. Die ganze Prozedur dauert kaum 15 Minuten und wir fangen an zu warten. Wie könnte man bei so einem Anlass keinen Hunger haben? Wir sitzen unter einem Aluminiumdach, der Raum heizt auf. Der Staub lässt sich auf Kleidern und Haut nieder. Wir warten lang. Doch als unser Gericht, Nudeln/Reis, Rinderfleisch und eine scharfe Zwiebel-Rosinensauce, endlich kommt, setzt sich die Zukünftige zu uns: ein gutes Zeichen! (Rechts die Angebetete, Fatou Sonko, links eine Freundin von ihr, Lisa mit langen Ohren und Papise, der "Antragsteller")

Ein Heiratsantrag wird nicht vom Antragssteller direkt, sondern entweder von seinen Eltern oder einem guten Freund gemacht. Das zukünftige Paar hat sich in Dakar kennengelernt und sich versprochen zu heiraten; doch der zukünftige Bräutigam hatte noch gezögert. Er erfuhr von Papises Schritt abends von seiner zukünftigen Frau. Ich glaube, er war sehr aufgeregt…

Diese Woche schien Lisa endlose Stunden vor ihrem Computer zu verbringen und Punkte in eine bunte Grafik zu malen. Die Punkte stehen für Tostan-Dörfer, die Grafik ist eine Karte des Departements. Mit dieser Karte illustrieren wir die Ausbreitung eines Tostan-Projekts. Bisher weiß selbst die Direktorin, Molly Melching, nicht, wie weit dieses Departement mit Tostan-Dörfern abgedeckt ist; niemand weiß es so richtig. Die zwei Koordinatoren arbeiten eigenständig, der eine in 30 Diola-Dörfern, der andere in 10 Mandinka und 20 Fulani-Dörfern. Die Karte ist ein Teil unseres Projekts. Die andere ist die Frage, wie die Veränderung von Sozialverhalten zu Stande kommt. Tostan weiß, dass seine Sensibilisierungsmittel gut funktionieren, doch wie sie genau ablaufen, nicht. Deshalb werden wir morgen eine solche Tour begleiten und dokumentieren. (Kind mit Spielzeug aus Bleicheflasche)

Tostan wählt für sein Programm Dörfer aus, die über Einfluss in ihrem Gebiet verfügen. Einfluss hat, wer frequentiert wird, so dass sich Informationen von diesem Punkt aus verbreiten. Warum wird ein Dorf frequentiert? Wegen Boutiquen, einer Moschee, einer Schule, einem Markt, einem Erdnusslager, einem kollektiven Reisfeld usw. Bei diesen Gelegenheiten tauschen sich die Menschen aus. Soziale Anlässe spielen ebenfalls eine wichtige Rolle: Hochzeiten, Taufen, Beerdigungen, Tänze, traditionelle Kämpfe usw. Gerade Heiratsbeziehungen sind wichtig, denn weil Frauen ihr Dorf bei der Heirat verlassen, haben sie Eltern in einem anderen Dorf, die sie besuchen. Wenn es um Fragen wie Beschneidung oder vorzeitige/erzwungene Heiraten geht, ist es zentral, alle Arme der Familie in die Entscheidung mit einzubinden. Oft sind es diese Frauen, die dann eine Info-Tour in ihr Dorf organisieren, um dort über das Wissen über Menschenrechte, Hygiene und Gesundheit, Problemlösungsstrategien etc. zu sprechen. Häufig richten Dörfer anschließend eine Anfrage an Tostan, selbst eine Klasse zu bekommen, oder wenigstens den Facilitator, Tostan-Lehrer, einmal in ihrem Dorf willkommen heißen zu dürfen. Jedes Tostan-Dorf hat eine Reihe von benachbarten Dörfern, mit dessen Einwohnern die Klassenteilnehmer sich regelmäßig austauschen. Auch dies versuchen wir auf der Karte zu illustrieren: Die Abdeckung des Departements durch solche Sensibilisierungsaktionen. (Bei einer Wanderung früh Morgens durch die Mangrovenfelder vor Ziguinchor)

Unser Koordinator, Bacary Tamba, versteht von Computern „soviel wie ’ne Kuh vom Kräbbel backen“ (sagte man Bruder früher immer). (Kräbbel, ohne Garantie für die Schreibweise, sind ein hessische Spezialität, so ’ne Art Muffins, aber ohne Loch in der Mitte, Zuckerbestäubung, meist mit Marmeladenfüllung, mein Vater bevorzugt sie jedoch ohne.) In dieser Woche erklärte ich ihm jedoch, dass Computer Strom brauchen, wie man einen Doppelklick macht, wie man mit einer Taste drei verschiedene Buchstaben erreichen kann… Inzwischen tippt er schon Texte mit Word. Er lernt erstaunlich schnell und ist stolz darauf. Diese Erfahrung mit jemanden zu arbeiten, der keine Vorstellung von Computern hat, ist eine neue. Die meisten Leute hier wissen jedoch mit PCs nicht umzugehen. Die Sekretärin ist in der ganzen Bignona-Koordination mit ihren rund 60 Mitarbeitern die einzige Kennerin, bisher. Mehr Schulungen sind dringend nötig. (Krabbenessen in Ziguinchor...)

Bei Bacary ist die Tage zu beobachten, dass vier Kücken zwei Mütter zu haben scheinen. Sie ähneln alle dem einen Huhn, doch folgen den beiden bei der Futtersuche. Als die Tage ein Schaf nach Essen suchte, prustete sich Mutter-1 auf, breitete ihre Flügel aus und ging mit beiden Krallen gespreizt kreischend auf dieses Schaf los. Es ergriff die Flucht. Heute attackierte es sogar eine der Töchter, die eines ihrer kleinen anrührte. (Piroguenfahrt auf dem Casamance-Fluss)

… und trotz allem…

Die Fragen drehen sich in meinem Kopf, wie wird Berlin auf mich wirken, wie wird mir das Leben und seine Freizeitvergnügen gefallen, wie stark werden mir die Menschen und ihre bunten Kleider, ihre aufgeschlossene Art, fehlen. Bei Tostan mangelt es an Arbeit nicht. Am spannendsten ist die Expansion in andere Länder, insbesondere den Gambia, wo Bacary neuer Koordinator wird sobald die Verhandlungen mit der Regierung abgeschlossen sind. Er würde uns gerne mitnehmen.

Unser Boot nach Dakar geht am Donnerstag.

Mittwoch, Februar 01, 2006

Dem Ende nahe... Heiko vergiftet von Zweitfrau!

Wir haben in der letzten Woche zwei Dörfer besucht, um dort mit den Dorfbewohnern (und einer ganzen Gruppe Tostan-Superviseure, die uns alle unterstützten... oder einfach nur den Anlass zum Quatschen genossen) eine Karte zu erstellen. Die Karte soll illustrieren, mit welchen Dörfern das Dorf Beziehungen unterhält und zu welchen Anlässen sie sich austauschen. Heiraten, Taufen, Beerdigungen, Marktbesuche, die Reisernte oder das Freitagsgebet sind zentrale Anlässe, zu denen sich die Menschen austauschen. Auf diese Weise verbreiten sich Neuigkeiten und somit auch das Wissen von Tostan. Wir fanden heraus, dass die Teilnehmer an der Klasse bis zu 90 Kilometer reisen, um dort über Aspekte des Programms zu sprechen. Unser Besuch in einem Dorf hatte fast den Charakter eines Grossereignisses, wir wurden mit Tanz von den Frauen empfangen, besuchten dann ensprechend dem Protokoll den Dorfchef und die beiden Imams, setzten uns dann in die offizielle Begüssungsrunde und schliesslich ging es an die Arbeit. Uff...
Ich habe schon erwähnt, dass wir Besuch hatten. Kenny Mann dreht einen Film über Tostan und entschied sich, dabei auch über die Voluntäre zu sprechen. Sie filmte in jedem Moment, machte sich abends beim Nachtgespräch Notizen "Das müsst ihr mir morgen nochmal erzählen..." und liess sich durch ein Dorf führen, um sich die Resultate des Programms illustrieren zu lassen. Sie spricht Deutsch, Englisch, Suaheli (oder so...), doch kein Französisch. Deshalb waren wir ihre übersetzer. Rechts in dem Bild redet Lisa gerade mit Kennys Assistent, der US-Freiwillige David der mit kanadischem Akzent Französisch spricht anstelle des irritierenden Amerikanischen; links interviewt Lisa einen Arzt. Ich musste darüber nachdenken, ob mir die Art gefällt, wie Dokus offenbar entstehen. Kenny liess sich die Szenen immerzu nachstellen. Sie beobachtete und sagte dann, "macht das nochmal..." Sie interviewte uns zu unserem persönlichen Erlebnis, aber auch zu dem Leben der Menschen und zu Tostans Programm. Eine Kamera ist fixierend. Abends sass sie dann, guckte sich ihre Szenen an und dokumentierte, um nicht vollständig durcheinander zu geraten.
Auf zum Gruppenfoto. Wir waren alle in Kopfhüten, weil wir einen traditionallen Kampftag, Ringen, besuchten wobei extrem viel Staub aufgewirbelt wird. Ganz rechts sitzt Moussa, der Haushüter des Büros. Bakary, hinter mir, schmierte sich heute morgen mit einer Hautmilch ein, er war geradezu in Eile die Milch aufzutragen. "Bei dieser Kälte riskiere ich weiss zu werden wie ihr", erklärte er mir nur. Diese Kälte heiss, dass es im Moment tagsüber nur rund 34°C sind.

Dieser ist der Marktstand, an dem ich Tag ein, Tag aus lokale Orangen und Banenen kaufe. Der Markt ist direkt am Gare Routiere und nur drei Minuten vom Tostan-Büro. Die Bananen sind selbst dann noch grün, wenn sie überreif sind. Mit den Orangen gleiches Lied. Die lokale Sorte ist jedoch deutlich zäher als jene orangen Importorangen, die nach Europa kommen. In jedem Fall wurde mein Farbsinn stark gestört; was sind das für Züchtungen, die wir in Europa bekommen?
An dem Tag, als ich nach unserem Aufenthalt in Dakar zum ersten Mal wieder auf den Markt kam, empfingen mich die Frauen klatschend und singend. Hier kann ich jeden Tag meine kleinen Diola-Kenntnisse anwenden, und sich ist, dass sie mich auch morgen wieder fragen werde, ob ich Frieden in mir habe (kaasuumay?), wie es meiner Familie geht und wo Lisa ist. Ich werde wieder antworten, ja, ich habe Frieden (kaasuumay kep!), die Familie ist da, und Lisa ist ebenfalls da und ist noch müde (nagaga). In ein paar Tagen werde ich wohl auch verstehen, was sie mich sonst noch fragen... das tägliche Ritual. Auf dem Markt gibt es noch Brot, Guaven, gekochte Süsskartoffeln und Baigners, frittierte Hirsestückchen; schon ist das Frühstück komplett.

Am letzten Wochenende hatten wir Besuch auf Französisch, was wir zu einem Ausflug ans Meer nutzten, in die kleine Stadt Kafountine. Sabine und ihre Freundin Ann-Lore, die fliessend Deutsch spricht, kamen von einem Auftrag aus Senegal's Wüste im Osten des Landes. Sie hatten Ruhe nötig. Es war warm genug um im Meer zu baden. Das Hotel war mit Meerblick. In diesen Wellen musste ich daran denken, dass meine Familie gerade im Bayrischen Wald Ski fahren war und Berlin zu einer Eisstadt zu werden droht. Auf der Rückfahrt konnten wir mitverfolgen, wie irgendwann der Schlüssel aus dem Zündschloss des Sept-places fiehl, was die Fahrt aber nicht stoppte. Ich habe jetzt mindestens fünf Fahrzeuge des öffentlichen Verkehrs und Taxis gezählt, bei denen die Geschwindigkeitsanzeige funktionierte. Ich glaube irgendwann während dieses Aufenthaltes vergiftete mich Sabine, meine zweite Frau, mit einer Tinktur, die Lisa, der erste weibliche Marabout in der Geschichte, angerührt hatte, weil sie mich mit meiner ersten Frau, Ann-Laur, in meinem Senegalesischen Dorf antraf und vor Eifersucht halb (Bild links, Ann-Laur und Sabine) erstickte. Männer haben es im Senegal nicht einfach... Rache ist bitter!
Heiko mit Senegalesischer Erstfrau, Europäische, eifersuchtsgeladene Frau vergiftet ihn im Schlaf mit traditionellem Tee.