Donnerstag, Dezember 22, 2005

Weihnachten in Dakar

Ich könnte einen deprimierten, pessimistischen Eintrag über unsere Rückkehr nach Dakar machen, wie wenig afrikanisch hier alles ist, wie viel Überfluss sich hier findet, wie wenig es mit dem Leben in der Casamance zu tun hat. Dafür bin ich aber noch zu kurz hier und meine Eindrücke noch zu frisch und einseitig. Der Abschied von Bignona war schwer. Papise hatte gesagt, wir seien eine grosse Familie geworden. Er hat recht. Als ich ihm vor ein paar Tagen sagte, es sei Zeit für uns zurückzukehren, weil unser Auftrag beendet ist, zog er ein betroffenes Gesicht.

Die Erlebnisse in Bignona, und vor allem in den Dörfern, haben einige Spuren in mir hinterlassen. Als wir im September nach Dakar kamen, nahm ich vor allem Gestank, die Hitze, die Hektik, die verfallenen Strassen und die unfertigen Häuser war. Unser Appartment für die Voluntäre schreckte mich ab, weil es heiss war und in der Toilette Ameisen von der Grösse halber Streichhölzer Strassen bauten, und nachts riessige Schaben über den Boden huschten. Dieses Bild scheint sich komplett verändert zu haben. Ich erkenne diese Stadt nicht wieder. Sie ist voller grosser luxuriöser Häuser, sie wimmelt von grossen Autos, in der Innenstadt reiht sich ein schickes Restaurant an das nächste. Das Appartment ist mit glänzenden Steinen ausgelegt und die Leute haben Fernseher. (In den Vierteln, wo Strom ein Fremdwort und Cholera eine reelle Bedrohung ist, waren wir noch nicht.)

Im Moment erscheint mir das alles sehr fremd. In Bignona schienen das Leben und die Menschen viel authentischer zu sein. Sie hatten nicht viele Mittel, aber sie schätzten ihre Familie und ihre Tradition. Hier sieht man kaum Leute in traditioneller Kleidung auf der Strasse. Die Entwicklung scheint daraus zu bestehen, die westliche Kultur nachzuahmen, und nicht unbedingt die guten Seiten. Gerade ist eine grosse Mall, ein riesiger Einkaufspalast, in Bau.

Dass mich dieser Ortswechsel mit solcher Heftigkeit erwischen würde, hatte ich nicht erwartet. Der reinste Kulturschock. Fast wie nach Europa zurückzukommen. Doch dann erinnere ich mich, welche Umstellung Dakar im September bedeutete.

Doch das Bild kann nicht nur trüb sein. Vor allem Cody nach anderthalb Jahren wiederzutreffen, ist toll. Er ist für Tostan in Conakry, Guinea, im Moment jedoch noch bis 28.12. in Dakar. Er hatte mich auf dieses Praktikum gebracht. Kennengelernt haben wir uns in Oregon, als ich dort Gastschüler war vor fünf Jahren. Seitdem haben wir uns in Prag, Lyon und Berlin wiedergesehen. Dann sind da noch einige Leute, mit denen wir im Laufe des Praktikums unterwegs waren, insbesondere Pape. Er hatte die erste Fahrt mit uns gemacht, bis er verletzt von dem ersten Dorfbesuch zurück nach Dakar flüchtete. Das war die Zeit in Kolda Ende September.

Die Ankunft war überraschend. Die Fahrt durch den Gambia verlief erstaunlich problemlos. An der Fähre über den Fluss, der Mungo Park vor knapp 200 als Start für seine Westafrikaexpeditionen diente und er von Mauren entführt und misshandelt wurde, sich einmeterlange Guinea-Würmer in seinen Beinen einpflanzten, warteten wir kaum eine Stunde. Oft sind es Wartezeiten zwischen 3-8 Stunden. Im Dakar-Büro kommen wir rechtzeitig zum Empfang einiger Unterstützer von Tostan, die gerade aus Kalifornien qngekommen waren. Wir werden in eine ausgedehnte Vorstellungs- und Fragerunde eingebunden. Das nach 11 Stunden Fahrt. Mein Adrenalinpegel war jedoch zu hoch, um Müdigkeit wahrzunehmen. Die kam erst nach dem Abendessen. Und mit ihr die Welle Impressionen, die meinen Kopf dem Explodieren nahe bringen.

Mittwoch, Dezember 07, 2005

Bilderblog \2 NEU Betextet

Die letzten Wochen waren voller Reisen und Treffen und dazu noch einem Berg Arbeit, so dass mir kaum Zeit zum Durchatmen blieb. Heute kommen wir gerade vom einem Dorfbesuch zurück, eventuell unser letztes Dorf in der Casamance, denn im neuen Jahr werden wir wahrscheinlich den Standort wechseln. Weihnachten wollen wir noch hier verbringen, weil wir hier wohl dem Gefühl zu Hause zu sein am nächsten kommen. Ich habe von den letzten drei Wochen Bilder gesammelt und sie unsystematisch aufgeängt. Voilà:


In dem Dorf Bougniry, das wir fuer einen Projekt-Jahresbericht von Tostan besucht haben. Dort besuchten wir die Schule und trafen auf diesen Brunnen. Hinten Malamine. Die Lehrer erzaehlten uns aus ihrem Alltag. Sie bauten mit der Hilfe von Eltern ein zusaetzliches Schulgebaeude, weil der Platz nicht reichte. Die Lehrer sagten, sie sammeln fast taeglich Kinder auf, die im Schulalter sind, von ihren Eltner aber nicht eingeschrieben werden. Diese Kinder steigen dann einfach irgendwann im Schuljahr ein und gucken sich alles was sie vorher versaeumt haben von den anderen ab. Die Klassen sind dort meist eine Mischung aus mehreren Jahrgaengen. Die Kinder brachen in totale Aufregung aus, als wir dort mit Kamera ankamen. Eigentlich werden Kinder in der Schule nicht mehr geschlagen, es ist sogar gesetzlich verboten. Diese Lehrer verneinten alle Fragen danach. Aber es gibt durchaus noch Lehrer, die zuschlagen, wenn ein Schueler seine Hausaufgaben vergessen hat, eine Frage nicht richtig beantworten kann oder zu spaet kommt. In dieser Schule gibt es derzeit doppelt so viele Jungen wie Maedchen. Dies wird sich langsam veraendern, weil Tostan auf die Bedeutung von Bildung hinweiset und fuer 100prozentige Einschreibquoten wirbt. Die Dorfverwaltung setzt das meistens um, in diesem Dorf wurden dieses Jahr alle Kinder im Schulalter, Jungen wie Maedchen, eingeschrieben. Leider sind die Kinder bald zu alt, um noch aufgenommen zu werden. Wer jetzt schon acht Jahre alt ist, bekommt keine Moeglichkeit mehr. Der Dorfchef dort, der wegen einer Polioerkrankung an den Beinen gelaehmt ist, kontrolliert selbst jeden Morgen die Anwesenheit der Schueler, weil er Bildung fuer so wichtig haelt. Und der Tostan-Facilitateur geht jede Woche mehrmals in die Schule, um die Schueler ueber ihre Menschenrechte aufzuklaeren (v.a. Recht auf Bildung, gewaltfreie Erziehung, Gesundheit). Bezahlt wird er dafuer von Tostan nicht. Er macht es in seiner Freizeit.

Bei unserem Dorfbesuch in Bougniry hatten wir endlich die Moeglichkeit ein Dorf zu besuchen, in dem Tostan nicht aktiv ist. Dies gab uns die Gelegenheit zu vergleichen. Dass wir in dieses nicht-Tostan-Dorf Tambacounda gehen wuerden, hatte uns allerdings niemand gesagt. So sassen wir vor einer Gruppe Dorfbewohnern, sogar der Marabout (Bild) war da, freuten und wunderten uns ueber den euphorischen Empfang, setzten uns an den Ehrentisch... und erfahren, wo wir hier sind. Doch wir hatten noch nicht einmal Stift und Papier dabei. Weder einen Plan, wie wir sie befragen sollten. Wir nutzten die Begruessungsminuten also fuer eine rasche Besprechung, liessen uns Papier und Stieft geben und es wurde eine spannende Gespraechsrunde. Die Leute waren sehr engagiert, wollten das Programm unbedingt in ihrem Dorf haben, hatten sich sogar beworben, aber konnte nicht ausgewaehlt werden. Es mangelt an Mitteln. Die Leute hatten durch benachbarte Tostan-Doerfer schon viel ueber das Progamm gehoert, FGC und vorzeitige/erzwungene Heirat von Maedchen in der Folge abgeschafft. Aber viele von den Dingen, die sie kannte, praktizierten sie nicht. So hat das Dorf noch viele Probleme mit Krankheiten aufgrund mangelnder Hygiene, fehlenden Impfungen, Geburten ohne aerztliche Hilfe usw. Zum Abschied statteten wir dem Marabout bei sich zu Hause noch einen Besuch ab. Den traditionellen Autoriaeten zu zeigen, dass man sie respektiert, ist extrem wichtig. Ein kurzer Besuch reicht dafuer schon aus. Viele Dorfbewohner kritisierten, dass NGOs aufkreuzen, den Dorfchef und Marabout oder Imam nicht besuchen, irgendwie nur ihre Sache verkaufen wollen.

Duschen unter freiem Himmel sind wunderbar... Dies war die Dusche im Hinterhof unseres Zimmers. Sie wurde von einem Mangobaum umhuellt. Wasser holen die Frauen, manchmal inzwischen auch die Maenner, aus dem Brunnen. Im Dezember war die Sache mit dem Duschen allerdings nicht mehr so unproblematisch wie noch im Novembar - abends ist es kalt geworden. Sich dann kalt zu duschen, ist nicht gerade erste Wahl. In der Casamance war es seit Mitte November nachts kalt geworden und abends kuehlte es recht frisch ab. Wir trugen durchaus lange Hemden, Lisa umhuellte sich mit einem Tuch oder Panje, manchmal legten wir sogar Struempfe an. Nachts musste ich mich mit einem Laken zudecken um nicht zu frieren. Tagsueber bleibt es jedoch warm, geregnet hat es seit ungefaehr sechs Wochen nicht mehr.

Der Imam von Bougniry. Er sprach neben Diola nur Arabisch, deswegen uebersetzte Malamine fuer uns. Er war ein interessanter Gespraechspartner (und sein Duschwasser hatte er sich selbst geholt!). Er unterstuetzt Tostan in jeder Hinsicht und warb bei den Frauen dafuer, sich in die Klasse einzuschreiben. Wenn er nicht betet, arbeitet er auf dem Feld. Malamine lies sich sich zu einigen interessanten Kommentaren hinreissen in diesem Dorf. Die Wolof interziehen ihre Kinder nicht gut, sie kennen keine Gastfreundschaft, ihre Kultur ist nicht gut und sie breiten sie ueberallhin aus. Das Radioprogamm nervte ihn, weil der Sprecher so viel Wolof unter das Diola mischte und eine schlechte ungebildete Sprache spreche. Ich musste sehr schmunzeln. Er hat auf der einen Seite recht. Auf der anderen Seite findet man diese Vorteile gebenueber anderen Ethnien immer wieder. So sagte er bezeichnend im naechsten Satz (da ging es gerade ueber die Mandinka): Die denken das gleiche von uns...

Cap Skirring... Was fuer ein furchtbares Touristennest! Keine drei Meter kann man laufen, ohne irgendwie angequatscht zu werden. Am Strand warten Haendler oder Restauranttypen, die einen unbedingt einladen wollen. Irgendwann badeten wir an diesem Strand, aber wir mussten ganz bis nach hinten links gehen. Wir verbrachten im Endeffekt sieben Stunden im Bus und sechs Stunden dort. Es war ein Erlebnis. Die Landschaft auf dem Weg war wunderschoen gruen und feucht, voller Reisfelder und Palmenwaeldern. Die Strasse war erstaunlich mies. Selbst der Sandboden, der oft die Strasse ersetzte, schien steinhart zu sein, so dass wir ordentlich durchgeschuettelt wurden. Der Bus war auf der Rueckfahrt total ueberfuellt und schien alle fuenf Minuten anzuhalten, um noch mehr Leute aufzunehmen, die an der Strasse standen und winkten. Der Fluss Casamance an der Route Nationale mit Laster. Um nach Bougniry zu kommen, mussten wir den Fluss mit einer Faehre ueberqueren. So entstand das Bild.

Zu einem Zeitpunkt kannte ich mich mit Fussball aus... und manche Sachen vergisst man nie. Der Fahrer des Bueros, Papise, lud uns an einem Wochenende zu sich nach Ziguinchor ein und so konnten wir ein Fussballspiel besuchen. Ein Stadtviertel spielte gegen das andere. Der Laerm war waehrend des gesamten Spiels berauschend. Denn die Frauengruppe, die nicht wie die Maennergruppe ungeruehrt wie im Kino rumsass, tanzte, trommelte, klatschte uns sang das ganze Spiel ueber. Egal wie gut oder schlecht gespielt wurde. Papise zeigte uns noch einige Stadtviertel und besuchte mit uns den Markt fuer Kunsthandwerk.


Bei Papise. Die Familie lebt dort mit 32 Mitgliedern, 4 finanzieren es. Papise ist unter der Woche in Bignona, schlaeft dort in einem kleinen Zimmer neben dem Buero, und kommt nur am Wochenende nach Ziguinchor. Manchmal gibt es jedoch auch am Wochenende Dorftreffen, Deklarationen, dann faellt auch das Wochenende weg. Als Fahrer muss er praktisch immer auf Stand-by sein, seine Arbeitszeiten verlaengern sich haeufig, auf WE bestehen kann er nur schwierig. Ich mag ihn fuer seine natuerliche und bescheidene Art. Er hat eine kleine Tochter.

Ich musste einfach einmal verewigen, wie die Frauen fuer eine grosse Gruppe essen kochen. Dies war beim Evaluationstreffen in Diacounda. Wir assen am ersten Tag Reis und Rindfleisch. Malamine musste die Dorfbewohner davon ueberzeigen, dass Lisa und ich wirklich sehr gerne Fisch essen und uns davon nicht beleidigt fuehlten, weil wegen uns extra ein Huhn geschlachtet werden sollte. Dies ist Tradition bei Besuchen von Auslaendern. Am naechsten Tag gab es Fisch und Gemuese zum Reis. Warum wird bei einem Treffen, auf dem wir absolut nichts beitragen, extra fuer uns gekocht?

Beim Jugendtreffen in Balencin Nord. Tostan veranstaltet nach jedem Modul ein Evalutationstreffen, wo die Teilnehmer ihre Fortschritte demonstrieren sollen. Das Treffen dauerte drei Tage, jeden Abend wurde zum Tamtam (der tradionellen Trommel) getanzt, zum Abschluss gab es ein Fussballspiel. Hier sitzen die Schueler in dem Klassenzimmer der Schule, wo das Treffen ablief. Normalerweise sitzen die Teilnehmer in Halbkreisen, hier fehlte jedoch der Platz und ausserdem waren die Baenke viel zu schwer. Ich war mit einem Fieber angereist und hatte den ersten Abend vor mir her getraeumt. Dann ging es jedoch besser. An einem Abend wurde ein Theaterstueck aufgefuert. Ein Maedchen wurde mit 12 Jahren verheirat und wurde schwanger. Bei der Geburt kommt es zu Komplikationen. Der Vater hatte sich geweigert, sie nicht zu verheitaten, obwohl sie ihn ueber ihre Rechte aufgeklaert hatte. Doch er als Familienoberhaupt wollte sich nicht reinreden lassen, er war geradezu empoert ueber seine Tochter. Als der Arzt dann jedoch die Probleme feststellte, zeigte er ihn an und der Vater landete im Gefaengnis. Sketche und kleine Theaterstuecke sind eine Weise, den Menschen, die oft nicht lesen und schreiben koennen, Wissen zu vermitteln. Hier war der Punkt, dass FGC und vorzeitige Heiraten illegal sind und bei Maedchen zu schweren koerperlichen und psysischen Problemen fuehren koennen. Ist es in vielen Regionen noch ein absolutes Tabu, ueberhaupt ueber diese Themen zu sprechen, geben die Tostan-Teilnehmer einen unterhaltsamen Denkanstoss. Sie belehren nicht, sie sensiblisieren nur. Diese Stuecke koennen richtige Erdbeben in Doefern ausloesen. In Bougniry hatte das Dorf entschieden, FGC abzuschaffen, nachdem sie einen solchen Sketch bei der oeffentlichen Deklaration von Oulampane 2003 gesehen hatten. Sie Laute sagten uns, dadurch dass der Sketch in Diola aufgefuehrt wurde, konnten wir ihn sofort verstehen. Ohne eine Klasse gehabt zu haben, trafen sie diese Abschaffungsentscheidung. Anderhalb Jahre spaeter deklarierten sie dann selbst mit, um ihre Entscheidung zu bekraeftigen.